Seelenjäger: Die Jagd beginnt (German Edition)
war. Es roch modrig und es war dunkel. Ich schlug die Augen auf und blickte in ein rotes Augenpaar, das friedlich auf mir ruhte. Ich griff mir an den Hals. Die Wunde war verschwunden, nur getrocknetes Blut klebte mir noch auf der Haut. Ich kratzte das Gröbste des Schorfs ab.
Als ich die Augen wieder ansah, starrten sie mich noch immer aufmerksam an. Ich richtete mich auf, die Augen kamen näher.
„Geht es dir gut?“, fragte mich Alec.
Ich schüttelte stumm den Kopf.
„Tut es noch weh?“, hakte er nach.
Ich schüttelte abermals den Kopf. Zwei kühle Hände umfassten mein Gesicht. Augenblicklich wurden Alecs Handflächen angenehm warm. Ich schloss die Augen und versuchte zu begreifen. Wieso war Alec hergekommen? Weshalb sprach Chraz von mir, als wäre ich die Schönste auf der Welt? Und warum hatte Chraz erst mich und dann Alec so komisch angesehen? Und die wichtigste Frage: Wieso war ich nicht tot?
In diesem Moment wurde der Raum von dem Schein einer Fackel erhellt. Ich öffnete die Augen. Vor mir kniete Alec, die Hände noch immer um mein Gesicht gelegt, betrachtete mich besorgt. Dann bog ein stämmiger, dunkelhäutiger Wachmann um die Ecke, der die besagte Fackel in der Hand hielt.
Jetzt war es hell genug, um zu erkennen, dass wir in einer Gefängniszelle saßen.
Der Wachmann holte ein großes rostiges Schlüsselbund hervor. Es klirrte, als er nach dem richtigen Schlüssel suchte. Schließlich hatte er ihn gefunden und öffnete die Tür zu unserer Zelle.
Alec sprang sofort auf und stellte sich dem Wachmann in den Weg. Doch dieser ließ sich davon nicht beeindrucken und erhob seine Hand mit einer peitschenähnlichen Stange. Er holte aus und schlug auf Alec ein.
Nach etwa zwanzig Hieben sank Alec zu Boden. Ich konnte mich nicht bewegen. Was ich soeben gesehen hatte, hatte mich zutiefst erschüttert. Alec hätte so leicht ausweichen können oder den Wachmann überwältigen. Nur wieso hatte er es nicht getan?
Der Wachmann holte erneut zum Schlag aus, diesmal stürzte ich vor.
„Nein! Bitte tue ihm nicht mehr weh! Bitte!“, schrie ich entsetzt.
Der Soldat starrte mich finster an, ließ seine Hand jedoch nicht sinken.
„Bitte!“ Meine Stimme zitterte, während ich ihn anflehte.
Der Wachmann ließ seine Hand sinken. Stattdessen griff er nach Alec und zog ihn wieder auf die Beine. Dann packte er mich am Arm und zerrte uns beide aus der Zelle.
Er brachte uns aus dem Gefängnis ins Freie.
Draußen erwartete uns eine karge, trostlose Ebene. Grau waren die Berge und Felsen ringsum, ebenso der Himmel. Hinter uns lag eine Festung mit schwarzen Mauern und unheimlichen dunklen Räumen hinter den hohen Fenstern. Dunkle Kreaturen starrten uns wie gebannt mit ihren glühenden Augen an. Gebückte kleine Wesen saßen auf Mauern und Simsen. Große hagere standen im Schatten.
Der Wachmann schleifte uns zu drei vereinsamten Pfählen mitten auf der Ebene. Alec band er so an einen der Holzpflöcke, dass er ihm sein Hemd vom Leib reißen konnte.
Mich fesselte er daneben an einen der anderen Pfähle, sodass ich Alec gut im Blick hatte.
Dann begann das Grauen von vorne. Der Wachmann schlug immer und immer wieder mit der Peitsche auf Alec ein. Ich konnte jedes Mal, wenn die Stange auf seinen Rücken klatschte, sein schmerzverzerrtes Gesicht sehen. Doch Alec blieb tapfer und brachte keinen Laut heraus. Er presste seine Zähne fest zusammen und versuchte, mich nicht anzusehen. Aber einmal öffnete er seine Augen für einen kurzen Augenblick und schaute mich an.
Ich versuchte ihm aufmunternd zuzulächeln, doch es gelang mir nur eine schiefe Fratze.
Im Gegenzug schenkte Alec mir ein flüchtiges Lächeln. Dann legte sich schon wieder die Peitsche um seinen Körper und das Lächeln erlosch.
Nein, schrie ich in Gedanken. Mein Herz schlug so schwer, dass ich glaubte, es würde mich von innen hinabdrücken. Hinab in die Finsternis. Ohne Hoffnung, jemals wieder die Sonne zu sehen. Ohne Hoffnung, Alec wiederzusehen. Oder sein Lächeln. Das wäre das Schrecklichste.
Voller Entsetzen starrte ich Alec an, als er aufschrie. Er hatte die Augen weit aufgerissen und den Holzpfahl in seinen Händen wie trockene Zweige zerbrochen. Zusammengekauert saß er auf dem harten Boden, blutüberströmt. Er zitterte, die Holzsplitter rieselten langsam durch seine verkrampften Finger. Er blickte mir direkt in die Augen. Ich erwiderte den Blick.
Alec verdrehte die Augen und sank kraftlos zu Boden. Dort blieb er reglos liegen.
„Nein!“
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