Seelenkuss / Roman
»Mich verlangsamt die Dunkelheit nicht. Bleib dicht bei mir!«
Sie folgte ihm, ließ sich von ihm führen, während sie an ihrer Taschenlampe herumfingerte. »Wo steckt Tony?«
»Wer?«
»Der Besitzer.«
Ihre Füße donnerten auf den Stufen. Ashe stolperte blind hinter Reynard her. Endlich schaffte sie es, ihre Lampe anzuschalten.
»Ich habe ihn nicht gesehen. Die Tür zur Treppe stand offen.«
»Und wo ist er?«
Sie fühlte, wie etwas Kaltes ihren Arm berührte. Rasende Verzweiflung überkam sie, während sich Schmerz wie eine Faust um ihr Herz legte und zudrückte.
Reynard zerrte sie in den Wald von Romanen, ehe er die Tür hinter ihnen zuknallte. Ashe musste sich an einem der Regale abstützen und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab.
»Göttin, was machen wir jetzt?«
Reynard packte ihren Ellbogen. »Laufen.«
Finsternis sickerte unter der Tür durch.
»Verdammt!« Ashe ging rückwärts aus dem Raum und angelte nach einer zweiten Bombe in ihrer Tasche. Die schleuderte sie und beobachtete, was passierte. Diesmal flammte die Bombe auf, aber die Finsterniswolken bogen sich über sie hinweg und zogen sie hinab wie ein sinkendes Schiff.
Vielleicht waren die Talismane in Ordnung, aber der Dämon eben viel stärker.
Wir sind geliefert!
Ashe drehte sich um und rannte los. Der Boden bog sich unter ihren Füßen, so dass Reynard auf die Knie stürzte. Er rappelte sich hoch, nur leider waren die hohen Regale nicht in den Wänden verankert. Im letzten Augenblick schirmte er sein Gesicht gegen die Kaskade von Taschenbüchern ab, die aus den kippenden Bücherregalen auf ihn herabprasselte.
Ashe sah nach hinten zu der Dunkelheit, die über den Boden kroch. Vor ihnen lag ein Gang voller Dichtung aus dem neunzehnten Jahrhundert – jeder Band ein schwerer Wälzer.
Wenn uns einer von denen auf den Schädel trifft, sind wir Gemüse.
Dann hatte sie eine Erleuchtung. Sie packte Reynards Hand. »Feuerleiter!«
Aber als sie aus dem Fenster sah, hinter dem sich die Metalltreppe befand, auf der sie früher Nancy Drew gelesen hatte, troff diese vor Dämonenschleim.
Sie hatte diesen besonderen Sirup mit solchen Flecken schon einmal gesehen. Und wie viele Dämonen konnten gleichzeitig in Fairview unterwegs sein? Jetzt fiel ihr ein, wo sie den Namen der Buchhandlung schon gesehen hatte: auf einem Aktenreiter im Büro des Rechtsanwalts.
Bannerman, ich bring dich um!
[home]
13
D ämonenschleim war giftig, ausnahmslos. Ashe stand der Sinn danach, einen Eimer voll davon einzufangen und ihn dem Anwalt über den Kopf zu kippen.
Sie mussten auf die schleimbeschichteten Metallstufen steigen und sie hinunterschlittern, so gut sie konnten, ohne sich das Genick zu brechen. Der Ausgang im zweiten Stock war zu hoch gewesen, um zu springen, und außerdem hatten sie nicht die Muße gehabt, eines der anderen Fenster aufzubrechen, die sämtlich mit Farbe zugekleistert waren.
Was bedeutete, dass sie reichlich giftigen Schleim abbekamen. Unten rannten sie direkt zur nächsten Tankstelle und ließen sich mit dem Wasserstrahl absprühen. Das dürfte ihnen das Leben gerettet haben. Für ihre Kleidung hingegen war es da längst zu spät. Selbst saubergesprüht stank sie nach vergammelten Hamburgern.
Um das Elend noch zu toppen, waren dichte Wolken aufgezogen, und bis sie den Wagen erreichten, goss es in Strömen, so dass die Autositze durchnässt wurden.
Ashe fehlte die Zeit, sich vor ihrem Termin mit Bannerman und dem Anwalt ihrer Schwiegereltern umzuziehen. Stinkend wie ein Schweinekadaver und high vom Adrenalin, war sie sowieso nicht in der Stimmung für Pumps und Perlenkettchen. Eher fühlte sie sich wie Bruce Willis in
Stirb langsam
und wollte dringend auf irgendetwas oder irgendjemanden eindreschen.
Unterwegs erledigte sie zwei Anrufe. Als Erstes telefonierte sie mit Holly, um ihr zu erzählen, dass der Buchladen von einem Dämon besessen war und sie ohne magische Verstärkung nichts tun konnte. Holly sagte, sie würde sofort ein Team zusammentrommeln, das sich um den Dämon kümmerte. Bis dahin wollte sie Höllenhunde hinschicken, damit sie die Leute von dem Laden fernhielten.
Der zweite Anruf war ein Ferngespräch mit einem Hacker, den Ashe gelegentlich einspannte: ein Kerl irgendwo im Süden, der von einem Wohnwagen aus arbeitete. Ins Grundbuchamt zu gelangen und herauszufinden, wer was an wen verkauft hatte, war eine Sache von Minuten. Er bestätigte ihr, was Ashe bereits vermutet hatte: Bannerman hatte den
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