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Seelenlos

Seelenlos

Titel: Seelenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Gesicht nicht nur einen Gegensatz zu ihrem Wesen darstellte, sondern in Wirklichkeit eine Maske war. Je länger sie die Kellnerin schikanierte, desto durchsichtiger wurde diese Maske, und ich sah die Spuren einer unterschwelligen, abgrundtief hässlichen Bosheit. Hätte man die Maske plötzlich weggerissen, so wäre darunter ein Gesicht zum Vorschein gekommen, mit dem verglichen Lon Chaney sen. als »Phantom der Oper« so sanft und lieb ausgesehen hätte wie ein Lämmchen.
    »Du, Maryann, du hast es im Vergleich zu ihnen leicht gehabt. Deine Qual ist vorüber. Du kannst jederzeit von hier verschwinden. Aber weil deine Schwestern da gewesen sind, wo sie waren, werden sie weiter leiden, den ganzen Rest ihres erbärmlichen Lebens.«
    Die intensiven Schuldgefühle, die Datura noch mehr anstacheln wollte, würden diesen gequälten Geist weiter an diese
ausgebrannte Ruine, diesen öden Landstrich ketten, noch ein Jahrzehnt oder Jahrhundert lang. Dabei hatte das Ganze offensichtlich keinen anderen Zweck, als die arme Seele so aufzuwühlen, dass sie auch für Datura sichtbar wurde.
    »Mache ich dich wütend, Maryann? Hasst du mich, weil ich dir verraten habe, was für hilflose, gebrochene Dinger deine Schwestern geworden sind?«
    »Das ist nicht nur infam«, sagte ich zu Datura, »es wird auch nicht funktionieren. Es bringt überhaupt nichts.«
    »Ich weiß schon, was ich tue, Süßer. Das weiß ich immer ganz genau!«
    »Sie ist nicht wie du«, sagte ich hartnäckig. »Sie empfindet keinen Hass, deshalb kannst du sie auch nicht in Wut versetzen.«
    »Jeder empfindet Hass«, sagte sie und fixierte mich mit einem mörderischen Blick, bei dem mir eiskalt wurde. »Hass regiert die Welt. Besonders für Frauen wie Maryann. Die sind die besten Hasser.«
    »Was weißt du schon über Frauen wie sie?«, fragte ich wütend und verächtlich. Die Antwort gab ich gleich selber: »Nichts. Über Frauen wie sie weißt du nicht das Geringste.«
    André tat einen Schritt auf mich zu, und Robert starrte mich drohend an.
    »Ich hab dein Bild in der Zeitung gesehen, Maryann«, bohrte Datura erbarmungslos weiter. »Oh ja, ich hab meine Hausaufgaben gemacht, bevor ich hierhergekommen bin. Ich kenne die Gesichter von vielen, die an diesem Ort gestorben sind, denn wenn ich sie sehe – wenn ich sie mithilfe meines neuen kleinen Freundes hier zu Gesicht bekomme –, dann sollen die Begegnungen denkwürdig sein.«
    Der große, breitschultrige Mann mit dem Bürstenhaarschnitt und den tief liegenden, gallegrünen Augen war erschienen, doch ich war so von Daturas skrupelloser Tirade abgelenkt gewesen,
dass ich seinen verspäteten Auftritt nicht mitbekommen hatte. Nun war er mir aufgefallen, weil er plötzlich in unserer Nähe stand.
    »Ich hab dein Bild gesehen, Maryann«, wiederholte Datura. »Du warst ein hübsches Mädchen, aber keine Schönheit. Gerade hübsch genug, um dich von Männern gebrauchen zu lassen, aber nicht hübsch genug, als dass du die Männer hättest gebrauchen können, um das zu bekommen, was du wolltest.«
    Der achte Geist des Kasinos, der keine drei Meter von uns entfernt war, sah noch genauso zornig aus wie vorher. Zusammengebissene Zähne. Zur Faust geballte Hände.
    »Einfach nur hübsch zu sein, das reicht eben nicht aus. Damit ist es sowieso rasch vorbei. Wenn du weitergelebt hättest, dann hätte dein Leben aus nichts als Kellnern und Enttäuschung bestanden. «
    Der Bulle kam noch ein Stück näher und stellte sich einen Meter hinter dem gramerfüllten Geist von Maryann Morris auf.
    »Du hattest große Hoffnungen, als du mit dieser Arbeit angefangen hast«, sagte Datura. »Aber es war eine Sackgasse, und bald wusstest du, dass du schon in deinem Alter endgültig gescheitert warst. Frauen wie du hängen sich an ihre Schwestern und ihre Freundinnen, um nicht zu versauern. Aber du … du hast sogar deine Schwestern im Stich gelassen, nicht wahr?«
    Eine der Benzinlaternen wurde deutlich heller, dann dunkler und wieder heller. Dadurch flogen die Schatten davon, sprangen heran und flogen erneut davon.
    André und Robert betrachteten düster die Lampe, tauschten einen Blick und sahen sich dann perplex nach allen Seiten um.

37
    »Du hast deine Schwestern im Stich gelassen«, wiederholte Datura, »deine gelähmten, blinden, entstellten Schwestern. Und falls das nicht stimmen sollte, falls ich bloß irgendwelchen Bockmist schwafle, dann lass mich dich sehen , Maryann. Zeig dich, tritt mir entgegen, lass mich sehen , wie das Feuer

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