Seelenmoerder
Update.«
Auf die Idee wäre er garantiert nicht gekommen. Wie auch? Ryne wusste genau, dass die meisten Beweismittel monatelang in den Labors herumlagen. Obwohl der Rückstau in etlichen Abteilungen des Labors in den letzten Jahren massiv abgebaut worden war, kam es immer noch gelegentlich vor, dass ein Verdächtiger festgenommen, verurteilt und inhaftiert wurde, ehe die Laboruntersuchungen abgeschlossen waren. Angesichts des Entgegenkommens, das sie bisher genossen, war ihm klar, dass Dixon jemandem schwer auf die Füße getreten sein musste, um diesem Fall oberste Priorität zu verschaffen. Natürlich besaß Bürgermeister Richards einigen Einfluss beim Gouverneur, der wiederum beim GBI Druck machte. Wie es auch gelaufen sein mochte, er war auf jeden Fall froh darüber. Vor allem jetzt.
Außerdem war ihm klar, wann Feingefühl gefordert war. »Das fiele mir im Traum nicht ein. Ich weiß ja, wie beschäftigt Sie sind, aber wenn Sie es so bald wie möglich einschieben könnten, wäre ich Ihnen dankbar.«
Han musterte ihn aufmerksam, wohl auf der Suche nach
Spuren von Sarkasmus, doch als Ryne an ihm vorbei zur Tür ging, sagte er: »Ja … gut. Ich werde mein Möglichstes tun.«
»Danke.« Obwohl ihn die Ungeduld plagte, ließ Ryne sich nichts anmerken. Wo er schon hier war, wollte er noch in der Serologie vorbeigehen und mit dem Biologen sprechen, der das Blut aus Juárez’ Wagen untersuchte. Falls es mit dem von Barbara Billings übereinstimmte, war ihnen der Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung sicher.
Und was die Medikamentenprobe betraf, die sie aus der Spritze gewonnen hatten – er kannte Han und wusste, dass der Mann von der unbekannten Mixtur und deren außergewöhnlicher Wirkung fasziniert war. Wahrscheinlich brannte er darauf, mit den Tests zu beginnen, selbst wenn er dann Überstunden machen musste, um seine anderen Verpflichtungen zu erfüllen.
Im besten Fall würden sie binnen einiger Tage statt Wochen Ergebnisse bekommen. Und da Juárez bereits in Haft saß, bliebe das nächste geplante Opfer des Vergewaltigers vielleicht verschont.
Vielleicht.
In Hidalgo Juárez’ Souterrainwohnung fiel kaum Tageslicht, was in Abbies Augen allerdings eher ein Segen war. Juárez würde es in absehbarer Zeit jedenfalls nicht in ein Hochglanzblatt für schicke Einrichtungsideen schaffen.
»Der Typ haust wie eine Kakerlake«, knurrte McElroy und stapfte durch die zahlreichen Fastfood-Verpackungen auf dem Fußboden. Als wollte er seine Worte unterstreichen, kam ein Tierchen unter einer Styroporschale hervor und krabbelte über den zerschlissenen Teppich.
»Ich hatte mich schon gefragt, ob ihr zwei denselben Inneneinrichter habt«, witzelte Cantrell. Von den Polizisten,
die in der engen Wohnung nur mühsam Platz fanden, nahm sich jeder eine bestimmte Fläche vor.
Sowie Ryne erfahren hatte, dass das Blut aus dem Bronco mit dem von Barbara Billings übereinstimmte, hatte er die sonst mitunter zeitraubende Prozedur zur Ausstellung eines Durchsuchungsbefehls im Eilverfahren durchgeboxt, und die Beamten waren zu Juárez’ Wohnung aufgebrochen. Abbie war auf der anderen Seite der Stadt bei Ashley Hornby gewesen, wo sie vergebens versucht hatte, die Frau dazu zu bringen, ihr die Tür aufzumachen und mit ihr zu sprechen. Hornby war das dritte Opfer des Vergewaltigers gewesen und hatte sich nach ihrer ersten Aussage mehr und mehr zurückgezogen.
Abbie war als Letzte eingetroffen und hielt Ausschau nach Ryne. »Nach was suchen wir eigentlich genau?«, erkundigte sie sich.
Er sah müde aus, und sie mutmaßte, dass er in der Nacht zuvor ebenso wenig geschlafen hatte wie sie. Stundenlang war sie wach gelegen, während sich in ihrem Kopf die Gedanken über ihre Schwester und den Fall gejagt hatten wie aufgeschreckte Ameisen. Ebenso schwer hatten sich die Gedanken an den leitenden Detective im besagten Fall verdrängen lassen.
»Seit wir die Spritze gefunden haben, gibt es Grund genug, überall zu suchen, wo Drogen sein könnten. Das lässt uns eine Menge Spielraum.«
Abbie sah sich um, ehe ihr Blick auf den alten Computer fiel, der auf einem fleckigen Resopaltisch in einer Ecke des Wohnzimmers stand. »Wir haben aber keinen Zugriff auf seinen Computer, oder?«
»Nein.«
»Wieso, musst du deine E-Mails checken, Tinkerbell?« McElroy sah vom Boden auf, wo er gerade den Teppich
nach losen Stellen untersucht hatte, unter denen sich ein Versteck befinden könnte. »Bist wohl schwer aktiv im Single-Chat,
Weitere Kostenlose Bücher