Seelennacht
willst, isst Derek. Wenn der in der Nähe ist, bleibt nichts übrig.«
Ich nahm den McMuffin.
Als Nächstes hob er zwei Becher hoch. »O-Saft oder Erdbeermilch?«
»Ich wusste gar nicht, dass man morgens schon Milchshakes kriegt.«
Er grinste. »Ich schon.«
Als ich den Shake nahm, wurde sein Lächeln noch breiter. »Ich dachte mir doch, dass du das wahrscheinlich magst.«
»Danke. Das«, ich beschrieb mit einer Handbewegung sowohl das Essen als auch den Schauplatz, »ist wirklich toll.«
»Und reichlich verdient nach der bescheuerten Nacht, die du hinter dir hast. Übrigens, du hast einen Schnitt in der Backe, das sollten wir nachher sauber machen. Ich weiß, dass Derek dir gestern den Marsch geblasen hat – mehr als einmal.«
»Das ist schon okay.«
»Nein, ist es nicht. Dich fertigzumachen, weil du diesen Zombie beschworen hast? Das war daneben, sogar für Dereks Verhältnisse. Er ist …«
»Reizbarer als sonst?«
»Yeah. Ich glaube, es liegt daran, dass er sich gewandelt hat – beziehungsweise sich nicht wandeln konnte –, aber das ist immer noch kein Grund, es an dir auszulassen, nicht nach dem, was du für ihn getan hast.«
Ich zuckte mit den Schultern und nahm einen langen Zug von meiner Erdbeermilch.
»Was du gemacht hast in der Nacht da – bei ihm zu bleiben, als er versucht hat, sich zu wandeln …« Simon schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie du es gemacht hast, da nicht auszurasten. Ihn so zu finden, ohne zu wissen, dass er ein Werwolf ist …«
»Ich bin irgendwann draufgekommen.«
Simon biss ein Stück von seinem Sandwich ab, kaute und sah in den Himmel hinauf, bevor er sagte: »Ich hab’s dir sagen wollen. Erst recht, nachdem er dich gezwungen hatte zuzugeben, dass du Geister siehst. Wir haben uns deswegen gestritten, er hat gewonnen, wie üblich. Aber wenn wir geglaubt hätten, dass du ihn jemals so zu sehen kriegen könntest, dann
hätten
wir dich gewarnt. Wirklich. Und trotzdem, in deiner Situation und selbst wenn ich gewusst hätte, was er ist – ich weiß nicht, ob ich es fertiggebracht hätte, dabeizubleiben, vom Helfen gar nicht zu reden. Das war echt mutig.« Er fing meinen Blick auf. »Wirklich mutig.«
Ich bin mir sicher, ich muss dunkelrot angelaufen sein. Ich wandte den Blick ab und biss in meinen McMuffin.
»Ich weiß es zu schätzen, was du für ihn getan hast, Chloe. Derek weiß es auch zu schätzen, obwohl ich mir sicher bin, dass er’s nicht gesagt hat.«
Ich schluckte den Bissen hinunter und wechselte das Thema. »Was ist eigentlich mit deinem Dad … du hast mir nie erzählt, wie er verschwunden ist?«
Er lachte. »Genug von Derek, stimmt’s? Aber leider fängt die Geschichte mit Derek an. Es passierte, nachdem er diesem Jungen das Rückgrat gebrochen hatte. Als das in der Lokalzeitung von Albany aufgetaucht ist, hat Dad beschlossen, dass es Zeit zum Gehen war. Er muss gewusst haben, dass die Edison Group nach wie vor versucht hat, uns zu finden. Wir hätten gleich an dem Tag noch gehen sollen. Nur …« Simon pulte einen verkohlten Krümel von seinem Sandwich. »Das ist etwas, was ziemlich oft passiert ist. Beim ersten Anzeichen von Ärger haben wir die Koffer gepackt und sind umgezogen. Derek und ich haben nicht begriffen warum, also haben wir uns beschwert.« Er machte eine Pause. »Nein,
ich
habe mich beschwert. Derek hatte jahrelang in diesem Labor gelebt, der war glücklich und zufrieden, solange wir drei zusammen waren. Ich habe die Umzieherei gehasst. Es ist mir immer so vorgekommen, als hätte ich gerade erst Freunde gefunden, es gerade ins Team geschafft, gerade ein Mädchen kennengelernt …«
»Ich weiß, wie das ist. Na ja, außer dem Teil mit den Mädchen.«
»Yeah, aber ich wette, du hast dich nie beschwert. Du bist da wie Derek. Du machst das Beste draus. Ich habe gemeckert und gestöhnt, also hat Dad immer versucht, es mir leichter zu machen. An dem Tag hatte ich ein Basketballspiel, auf das ich mich schon seit Wochen gefreut hatte. Dad hat diesen Zeitungsartikel gesehen, als wir schon in der Schule waren, und hat Derek auf dem Handy angerufen. Er hat ihm gesagt, er sollte es mir gegenüber nicht erwähnen, aber er – Dad – würde uns von der Schule abholen, und wir würden gehen. Er ist nie aufgetaucht.«
»Und ihr habt ihn seitdem nicht mehr gesehen?«
Simon schüttelte den Kopf. »Wir sind nach Hause gegangen, das Auto war beladen, die Schlüssel lagen in der Küche. Er hat seine Brieftasche mitgenommen oder
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