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Seelennoete

Seelennoete

Titel: Seelennoete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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dachte er darüber nach, wie er Sam wieder einfangen konnte. Er musste ihn zurück auf das Boot schaffen, sonst war alles umsonst gewesen.
    Sam hielt inne, hob seine Schwanzflosse aus dem Wasser und ließ sie auf die Oberfläche klatschen. Abernathy hatte dieses Verhalten schon öfters beobachtet, wenn Sam ungeduldig, wütend oder aufgeregt war.
    „Reg dich nicht auf, Sam“, sagte Abernathy sanft. „Es wird alles wieder gut, glaub mir.“ Sam klatschte wieder mit der Schwanzflosse auf die leichten Wellen. Er wirkte angespannt und gar nicht mehr ängstlich und schüchtern, wie Abernathy es von ihm gewöhnt war. Der Fischjunge war nun in seinem Element und Abernathy war auf seine Gnade angewiesen. Abernathy zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Er musste Sam zum Sprechen bringen, ihm eine menschliche Reaktion entlocken, die Verbundenheit wieder herstellen, sonst würde das böse enden. Durch die menschliche Sprache konnte Sam aus seinem Instinktgebahren aussteigen. Zumindest hoffte er das.
     Sam begann zu sirren und umkreiste ihn wieder, gleitend wie eine Wasserschlange.
    Hör auf, dachte Abernathy. Bitte hör auf.
    Haie kreisten auch ihre Beute ein, bevor sie zuschlugen. Abernathy konnte sich kaum mehr vorstellen, dass dies derselbe Junge war, für den er Pfannenkuchen gebacken hatte. Dieses instinktgesteuerte Verhalten verlieh ihm eine unmenschliche Aura.
    Sam sirrte wieder und tauchte elegant ab.
    Laines unterdrückter Schrei, den das Klebeband dämpfte, drang an Abernathys Ohren. Das Boot schaukelte wild und Abernathy versuchte, ein Stück weiter weg zu schwimmen, um seinen Sicherheitsabstand zu vergrößern. Der Wal schien Gefallen an dem Spielzeug gefunden zu haben und ließ nicht mehr von dem Boot ab. Laine schrie. Abernathy fluchte und tat zwei Schwimmstöße, dann tauchte Sam vor ihm auf und schnitt ihm den Weg ab.
    „Sam, was tust du da, was hat das zu bedeuten? Antworte mir, rede mit mir, bitte“, sagte Abernathy. Da fiel ihm etwas ein. Seine Hand tastete nach der Betäubungsspritze, die noch in seiner Jackentasche stecken musste. Er fühlte das längliche Stück Plastik und versuchte, es hervor zu ziehen. Wenn er Sam damit erwischte, konnte er ihn vielleicht wieder an Bord bringen, falls der Fischjunge ihn nicht vorher ertränkte. Sam schien seine Aufmerksamkeit aber nicht nur auf ihn zu richten. Er sirrte wieder und sah auf das Boot hinter Abernathy. Und dann stürzte er sich ohne Vorwarnung auf den Menschenmann, der vor ihm im Wasser paddelte und umklammerte ihn. Abernathy wurde unter die Oberfläche gerissen und spürte, wie Sam ihn immer tiefer nach unten zog.
    Jetzt sterbe ich, dachte er. Es ist nur richtig, dass er mit tötet.
    Wasser drang in seinen Mund und der alte Mann wünschte sich nur noch, dass es schnell vorbei ging.
     
     
    „Siehst du, was ich sehe?“, fragte George tonlos.
    „Hol mich der Teufel, wenn das nicht Sams verrückter Wal ist“, sagte Bill. „Ein Wal, der anscheinend das ganze Boot auseinander nimmt.“
    „Ist das Laine?“, fragte George. „Oh Gott! Das ist sie! Das ist sie! Bill, der Wal bringt sie um. Wir müssen näher ran! Los!“
    Bill legte sich in die Riemen.
     
     
    Ein gutes Stück von dem Boot entfernt durchbrach Sam mit dem alten Mann im Arm die Wasseroberfläche. Hektisch sog Abernathy die Luft ein. Er lebte! Sam hatte ihn nicht ertränkt. Aber warum? Spielte er mit ihm wie ein weißer Hai mit einer Robbe?
    Sam ließ Abernathy los und glitt ein Stück von ihm weg.
    „Alles klar?“, fragte Sam.
    „Was ... hast du gemacht?“, keuchte Abernathy.
    „Das Boot wäre sonst auf dich gefallen.“ Sam lächelte ihn an. Abernathy drehte sich um. Das Boot trieb mit dem Kiel nach oben im Wasser. Kisten und verschiedene Gegenstände schwammen auf den Wellen. Der Wal musste das ganze Ding herumgedreht haben. Sam schwamm näher und Abernathy spürte ihn dicht neben sich.
    Er hat mich gerettet.
    Sam hatte ihn vor dem umstürzenden Boot in Sicherheit gebracht. Er fühlte, wie Sam im Wasser seine Hand umfasste. Dieselbe Hand, die nach der Spritze gesucht hatte, die Sam wieder der Gefangenschaft überantworten sollte.
    Sam drückte Abernathys Hand.
    „Siehst du, dir ist nichts passiert. Weißt du, wo Laine ist?“, fragte er und sah ihn von der Seite an. Abernathy brauchte zwei Sekunden, bis er dem Gedanken folgen konnte.
    „Sie ist doch noch … am Boot festgebunden. Sie ertrinkt!“, sagte Abernathy. Sam verschwand im Bruchteil einer Sekunde unter Wasser.
    So

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