Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
dass ihr Auto da an der Ecke gestanden hatte – wo sie doch nur so kurz weg war. Direkt peinlich schon so früh am Morgen Besuch von der Polizei zu bekommen. Hoffentlich würden sich jetzt nicht die Nachbarn die Mäuler zerreißen.
Und wenn, sollten sie doch. Diese Typen, in deren eigenem Leben nie etwas Interessantes passierte und die sich gierig auf die anderen stürzten, hatte sie ohnehin satt.
Sie nahm eine dicke Modezeitschrift aus ihrer Umhängetasche und schon bald waren ihre Gedanken mit der kommenden Herbstmode und den passenden Accessoires beschäftigt.
Plötzlich schienen sich die Wolken zu lichten und die Sonne schickte einzelne Strahlen auf den Altmarkt. Von einer Bewegung aufgeschreckt, hob sie ihren Blick von der Zeitschrift und sah hinaus.
Sie hatte ihn sofort entdeckt.
Er gab sich auch nicht einmal Mühe, sich unsichtbar zu machen.
Im Gegenteil.
Auf der anderen Seite des Platzes flanierte ihr Mann und hielt zärtlich eine dicke, dunkelhaarige Frau im Arm. Zärtlich beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie auf den Mund. Frau Meister tastete Halt suchend nach der Tischplatte.
Mein Gott, das war schon fast Unzucht mit Minderjährigen – die kleine, ordinäre Fette war doch höchstens Anfang Zwanzig!
Wie konnte er es wagen – auch noch so in aller Öffentlichkeit! Wie lange mochte das schon gehen?
Sahen so die Kundentermine aus, die er in letzter Zeit immer noch spät am Abend hatte?
Sie würden beide einen AIDS-Test machen müssen. Wer konnte schon wissen, wo er diese kleine geschmacklose Dirne aufgegabelt hatte.
Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie drängte sie eisern zurück. Schließlich konnte Lara jeden Moment hier auftauchen und sie sollte nicht den Eindruck haben, irgendetwas sei nicht in Ordnung. Gerade in der jetzigen Situation wäre das völlig falsch. Frau Meister probierte ein zaghaftes Lächeln und überprüfte in der Scheibe, ob es ihr gelungen war. Na, siehst du, geht doch, lobte sie sich.
Alles andere kannst du später überdenken – Lara würde sicher am Nachmittag eine Freundin besuchen, um ihre neuen Kleidungsstücke vorzuführen.
Sie warf noch einen letzten Blick auf das glückliche, turtelnde Paar und blätterte dann entschlossen weiter in ihrer Zeitschrift.
Es gab keinen Grund zur Eile!
52
Peter Nachtigall hatte sich am Altmarkt absetzen lassen. Er wollte Groovi mit etwas Besonderem überraschen. Als er zügig den Platz überquerte, stach ihm der gutgekleidete Herr sofort ins Auge, der überschwänglich eine junge Frau begrüßte und sie fest umschlungen hielt, während er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte.
Herr Meister!
Nachtigall beschloss der peinlichen Situation auszuweichen und drehte sich um. Das Schaufenster des Meissner Porzellangeschäfts erschien ihm am Unverfänglichsten.
Doch kaum hatte er sich umgedreht, entdeckte er in einem der großen Fenster des ›Coffeelatte‹ Frau Meister. Es war klar, dass auch sie das Paar gesehen hatte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie durch die Scheibe. Er sah ihre Hände nach der Tischplatte tasten, wusste, wie sehr sie nun mit sich zu ringen hatte. Wie leicht konnte man durch die falsche Reaktion zur lächerlichen Figur werden! Das kannte Nachtigall aus eigener Erfahrung.
Schnell trat er an das Schaufenster heran, um nicht von ihr entdeckt zu werden. Sie sollte ihn nicht sehen – nicht in diesem schrecklichen Moment. Die Erinnerungen überschwemmten ihn, Birgit im Flur mit gepackten Koffern auf dem Weg nach Norwegen und er konnte ihre Verzweiflung nachfühlen.
Bestimmt registrierte sie die Jugend der anderen. Ihr Mann hatte sich eine gesucht, die nur halb so alt war wie sie selber. In der Scheibe beobachtete er das schmusende Paar. Die Neue war nicht nur jünger, sie war überhaupt ganz anders als die Ehefrau. Frau Meister war schlank und chic gekleidet, während diese Frau regelrecht dick war und in einem ausgesprochen unvorteilhaften, bunt gemusterten Kleidchen steckte. Das musste ein ziemlicher Schlag für Frau Meister sein.
Man kann darüber hinwegkommen, dachte Peter Nachtigall und setzte seinen Weg fort, als das Paar um die Ecke verschwunden war.
53
»Giovanni Alberto heißt dein Freund mit vollem Namen!«, begrüßte ihn Michael Wiener kurze Zeit später im Büro.
»Im Computer gibt es ein paar neckische Informationen. Er hat auch schon Erfahrungen im deutschen Knast gesammelt: Schutzgelderpressung. Heute ist er stolzer Besitzer eines Nachtclubs. Die Kollegen fahren regelmäßig
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