Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
komplett. Und auch anmutige Bewegungen können zu kurze, kräftige Beine oder zuviel Gewicht unsichtbar machen. «
Peter Nachtigall wartete ungeduldig.
Dr. Pankratz arbeitete konzentriert und zügig. Gewebeproben fanden ihren Weg in entsprechende Behälter, die Stichkanäle wurden sorgfältig präpariert, fotografiert und ausgemessen, der Eintrittswinkel des Messers bestimmt, nach Abwehrspuren gesucht und unter den Fingernägeln Schmutz- und Gewebepartikel entnommen.
»Das Mädchen war völlig gesund. Noch waren keine Schädigungen durch Alkohol und Drogen entstanden.«
Nachtigall schluckte hart, als der forensische Pathologe zur elektrischen Knochensäge griff.
Wenig später beugte sich Dr. Pankratz über den weit geöffneten Brustkorb.
»Schauen Sie mal, hier. Die linke Lunge ist kollabiert. Auf Faustgröße geschrumpft und die Thoraxhöhle ist mit Blut angefüllt – das ist bestimmt mehr als ein Liter.« Er trat zurück und nötigte Nachtigall auch einen Blick auf das freigelegte Gebiet zu werfen. Der Hauptkommissar näherte sich dem Körper nur zögernd.
»Durch den plötzlichen Ausfall einer Lunge hat sie bestimmt Atemnot bekommen.«
Peter Nachtigall nickte zum Zeichen, dass er die Erklärungen verstanden hatte.
»Alkohol, Drogen, Psychopharmaka – nach unseren Erkenntnissen hatte sie eine wilde Orgie hinter sich. Vermutlich gab’s Streit und einer der Gäste ist ausgerastet«, wechselte er unvermittelt zu Spekulationen über den Tathergang und seine Stimme hallte rau durch den Saal.
»Möglich«, antwortete Dr. Pankratz, »aber wir haben keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass sie sich gewehrt hätte. Vielleicht hatte die Wirkung der Drogen bereits eingesetzt und ihr Reaktionsvermögen war schon so verlangsamt, dass sie sich nicht wirksam zur Wehr setzen konnte. Dann konnte sie aber wahrscheinlich auch nicht mehr gut streiten. Mal sehen, was die toxikologische Analyse hergibt. Oder der Angriff kam völlig unerwartet und es blieb ihr einfach keine Zeit für irgendwelche Abwehrhandlungen.«
»Es gibt also keine Hinweise auf einen Kampf?«
»Nein. Sehen Sie, keine Kratzer oder Schnittverletzungen an den Armen oder Händen, keine abgebrochenen Fingernägel und wie’s aussieht auch keine Gewebespuren unter den Fingernägeln. Ich schätze, alles, was wir dort gefunden haben ist Blut – und zwar ihr eigenes. Aber das wird die Analyse zeigen.«
Dr. Pankratz betrachtete seine blutigen Handschuhe nachdenklich, zog sie aus und griff nach einem neuen Paar.
»Dann war sie völlig wehrlos, als sie angegriffen wurde?«
»Das weiß ich erst nach der Blutanalyse. Wenn sie wirklich Drogen und Alkohol durcheinander und in erheblichen Mengen konsumiert hatte, war sie wohl kaum zu heftigen, zielgerichteten Reaktionen in der Lage.«
Peter Nachtigall seufzte.
»Wir vermuten, dass einer der Gäste noch etwas Nachschub haben wollte und nicht bezahlen konnte. Als sie ihm nichts gegeben hat, wurde er wütend und hat zugestochen. Er wollte sie bestrafen und sorgte deshalb dafür, dass sie Zeit genug hatte darüber nachzudenken, ob es nicht doch besser gewesen wäre ihm das Zeug zu überlassen, statt sterben zu müssen. Denkbar?«
Dr. Pankratz knetete sein langes Kinn so heftig, dass es sich tiefrot verfärbte.
»Bei diesem Ansatz gehen Sie davon aus, der Täter habe an der Orgie teilgenommen, richtig?«
Nachtigall nickte.
»Die Stiche sehen aus, als seien sie wahllos beigebracht worden – doch das ist nicht richtig. Immer, wenn der Stich ein schnelles Ende hätte herbeiführen können, wurde er so geführt, dass dies nicht geschah. Der Stich neben dem Herzen zum Beispiel. Knapp daneben. Es wurde nur ein Lungenflügel verletzt. Er kollabierte, doch der andere arbeitete weiter. Sie muss Atemnot bekommen haben – aber daran ist sie auch nicht gestorben. Auch der Stich in die Seite – es wurden keine Organe getroffen, aber er führte zu einer heftigen inneren Blutung. Nein, nein – hier ist der Täter sehr präzise vorgegangen. Unter Drogeneinfluss ist das nicht vorstellbar. Der erste Stich dürfte dieser hier gewesen sein«, er wies auf die Wunde an der linken Lende. »Danach ist sie wohl zu Boden gegangen. Die anderen wurden ihr im Liegen beigebracht. Der Täter war schätzungsweise einen Kopf größer als sie, wahrscheinlich Rechtshänder. Die Kleidung wird noch gründlich untersucht, aber schon jetzt ist klar, dass sie voller Fremdhaare und fremder, andersfarbiger Fasern ist. Ein Teil der Haare dürften
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