Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
erwiderte Nachtigall vorsichtig.
»Ganz bestimmt war es ein eskalierter Streit unter Alkohol- und Drogeneinfluss. Sie können doch nicht jeden Fall unnötig verkomplizieren«, beharrte der Mittvierziger, als sei es die Schuld der Ermittler, wenn sich ein Fall als schwierig erwies, und wünschte allen einen schönen Feierabend. Perplex starrten die Drei ihm nach.
Als er sich erhob, knisterte der Umschlag in Nachtigalls Jackentasche.
»Ach, Moment. Ich habe da noch diesen Umschlag gefunden. Die Jacke lag den ganzen Tag auf der Rückbank des Autos und da habe ich ihn vergessen.«
Alle Drei traten an seinen Schreibtisch und er schüttete den Inhalt auf die Platte. Eine große Anzahl von Farbfotografien purzelte heraus. Auf allen war das Opfer zu sehen. Sprachlos starrten sie auf Fotos, die Friederike Petzold beim Zähneputzen, auf der Toilette, beim Sex, beim Kochen, beim Streicheln des Hundes, beim Einkaufen und vielen anderen alltäglichen Situationen zeigten. Doch wirklich erschreckend waren die Aufkleber. Gedruckte Worte voller Hass: Du bist nirgends vor uns sicher, ich kriege dich, wo immer ich will, wir werden dich auslöschen, erwarte deine letzte Stunde und ähnliches.
»Du liebe Zeit! Da scheint es jemand wohl wirklich ernst gemeint zu haben. Hoffentlich kann der Erkennungsdienst hier Fingerabdrücke sichern. Sieht so aus, als konnte sie dieser Hobbyfotograf zu jeder Zeit an jedem Ort fotografieren. Vielleicht hat er seine Drohung wahr gemacht. Michael, gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, wie nah der Typ an ihr dran war?«
Michael Wiener sah ihn einen Augenblick verständnislos an.
»Oh, klar. Du willst wissen, ob er für diese privaten Schnappschüsse in ihre Wohnung musste? Das würde bedeuten, er konnte sich jederzeit Zutritt verschaffen. Das kann ich bis morge früh kläre. Ich fahre noch schnell im Fotolabor vorbei. Wenn du willst, nehme ich die Bilder gleich mit zum Erkennungsdienst. Mir ist das unheimlich! Sich vorstellen zu müssen, dass jemand in deine Privatsphäre eindringen kann, und du kannst dich nicht dagegen wehren. Das muss ein beschissenes Gefühl sein.«
14
»Nun hör schon endlich mit der Flennerei auf!«, herrschte Herr Weinreich seine Frau an, die das Geschirr leise schluchzend in die Geschirrspülmaschine stapelte.
Wütend fuhr sie herum und funkelte ihn an.
»Sie war nicht deine Tochter, sondern meine! Sie war manchmal anstrengend, ja, aber niemand hatte das Recht, sie zu töten!«
»Deine Tochter! Und was für eine! Das kannst du laut sagen!«
»Als du mich geheiratet hast, wusstest du, dass ich schon zwei Kinder habe! Damals hat dich das nicht gestört. Im Gegenteil – du hattest immer wieder versprochen, wir würden zusammenwachsen und eine große Familie werden! Deine Worte, ha! Heute klingen sie wie Hohn in meinen Ohren!«, wütend schlug sie die Klappe der Spülmaschine zu.
»Als ob man mit dieser Göre hätte zusammenwachsen können. Die hat doch nur so mit Katastrophen um sich geworfen! Und du immer schön auf der Seite von Prinzesschen. Wenn ich sie mal zur Ordnung gerufen habe, ging sie sich bei dir ausheulen und hat sich dann daran geweidet, wie du mir die Leviten gelesen hast! So funktioniert das eben nicht.«
»Du wolltest sie doch nur klein kriegen – wie du es mit mir gemacht hast. Keine eigene Meinung mehr, die Frau tut, was der Mann von ihr will! Arbeit, Heim, Herd, Kinder, Wäsche! Das ist aus grauer Vorzeit und war damals schon nicht wahr! Und deine Mutter hat dich immer noch bestärkt in dieser Paschahaltung! Aber meine Töchter werden nicht so, dafür werde ich sorgen, wo immer ich kann.«
»Lass gefälligst meine Mutter aus dem Spiel! Und eins ist wohl sicher, wenn du es bei meinen Töchtern auch so machst, wie bei deiner Friederike, werden sie keine Chance haben auf dieser Welt. Es geht nun mal nicht, wenn man immer mit dem Kopf durch die Wand rennt. Das hinterlässt zu viele Schäden und irgendwann muss man dafür bezahlen.«
Frau Weinreich putzte sich die Nase und knüllte das Taschentuch in ihrer Hand zu einem festen Ball zusammen. Dann drehte sie sich um und begann den Herd und die Arbeitsflächen abzuwischen. Es war sinnlos. Diese Diskussionen führten sie seit Jahren.
»Deine Tochter hat sich immer Unterstützung geholt. Wenn gar nichts mehr ging, hat sie eben Papi angerufen, und der hat dir dann den Kopf zurechtgesetzt und wieder durfte Fräulein Petzold genau das, was sie wollte. Das Gör hätte eine starke Hand gebraucht –
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