Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
Petzold sei eine Mörderin. Davon zum Beispiel wusste Frau Markwart nichts. Wie auf eine geheime Absprache hin, erwähnte es niemand. Es war ein bisschen wie ein kindisches Spiel. Aber aus solchen Dingen halte ich mich raus.«
Sie öffnete einen Schrank und räumte langsam ein Fach mit Nachthemden aus. Sorgfältig stapelte sie die Wäschestücke auf dem kleinen Tisch im Schlafzimmer.
»Sie bekam so gut wie nie Besuch. Ihre Kinder kümmerten sich nicht um sie, wenn sie je Freunde gehabt haben sollte, so waren sie wohl schon zum größten Teil verstorben. Ihr Mann war seit fast einem halben Jahrhundert tot. Die Tochter wurde nach seinem Tod geboren und sie musste beide Kinder allein durchbringen. Sie hat in einem Schreibbüro gearbeitet. Zusammen mit der Witwenrente hat es gerade gereicht den beiden Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Der Sohn wurde Maschinenschlosser und ist nun schon ziemlich lange arbeitslos, die Tochter arbeitete bei einer Bank, heiratete einen vermögenden Unternehmer, eröffnete eine Boutique und beerbte ihren Mann, als der vor einiger Zeit gestorben ist.«
Schwester Hilde schob den Stapel wieder in den Schrank zurück.
Sie widmete ihre Aufmerksamkeit dem nächsten Fach und begann Badelaken zu stapeln.
»Frau Markwart wurde krank. Erst das Herz, dann Diabetes. Wenn sie ihre Diät eingehalten hätte, wäre es vielleicht möglich gewesen auf die Medikamente gegen den Diabetes gänzlich zu verzichten, aber so war sie nicht veranlagt. Sie war eher ein Genussmensch. Natürlich glaubte sie immer, ich würde es nicht bemerken, aber selbstverständlich wusste ich von den Süßigkeiten und dem Kaffee mit der sahnigen Kondensmilch unter der Decke. Durch die Herzschwäche sammelte sich immer mehr Flüssigkeit in ihrem Körper, durch die falsche Ernährung immer mehr Fett. Ich habe für sie eingekauft, natürlich nicht das Naschzeug. Da hat sie ab und zu ein paar Kinder aus der Nachbarschaft geschickt.«
»Auch um sich Kuchen aus der Konditorei besorgen zu lassen?«
»Nein, aber sie ließ sich gerne zu Kuchen einladen, zum Beispiel von ihrer Tochter, wenn die sie ausnahmsweise mal besuchen kam. Aber ansonsten mochte sie viel lieber Kekse. Mit Schokoladenfüllung oder Schokoladenguss.«
»Bei der Obduktion fand der Pathologe Kuchenreste in ihrem Magen.«
»Dann muss sie doch Besuch gehabt haben.«
»Feinde?«
Schwester Hilde räumte das Fach wieder ein und eilte in die Küche. Dort nahm sie einige Blechdosen aus dem Schrank und öffnete jede, um einen kurzen Blick hineinzuwerfen.
»Nein. Sie war sicher für viele hier eine Plage. Aber nicht so schlimm, dass man sie deswegen gerne ermordet hätte. Irgendwie gehörte sie auch zu dieser Straße. Alle wussten, dass sie zum Fenster rausguckte. Wer etwas Geheimes tun wollte, ging eben woanders hin, oder wartete bis sie im Bett war. Ah, da ist es ja!«, rief sie triumphierend.
»Ihr Sparbuch. Sie hütete es wie ihren Augapfel. Das Geld stammt noch aus der Zeit ihrer Ehe. Sie hat es nie angetastet. Es sei ein Notgroschen, erklärte sie mir immer, und falls sie ihn nicht verbrauche, würden ihn eben die Kinder erben. Was die dann nach ihrem Tod damit anfingen, sei ihr egal.«
Sie reichte Nachtigall das kleine rote Heft.
»Es muss hier heute einen ziemlichen Auflauf gegeben haben. Während ich auf sie wartete, erzählte mir eine Nachbarin, die beiden Kinder seien am Vormittag hier aufgetaucht und wollten in die Wohnung. Das ging aber nicht, weil die Polizei sie versiegelt hatte. Es muss einen recht heftigen Streit gegeben haben, aber dann sind sie wohl unverrichteter Dinge wieder verschwunden.
»Zweihundertfünfzigtausend Euro!«, staunte Peter Nachtigall. »Ein ganz schön üppiger Notgroschen! Und uns haben die Geschwister erzählt, es gäbe keine Sparbücher oder sonstige Wertsachen! Kein Wunder, dass die beiden unbedingt in die Wohnung wollten!«
Er würde sich die beiden noch einmal vornehmen müssen. Vielleicht lag da ein Tatmotiv.
»Viele alte Menschen schlafen schlecht. Was tat Frau Markwart, wenn sie mitten in der Nacht aufwachte und nicht mehr schlafen konnte?«
»Sie tat das, was sie am liebsten mochte: Sie kontrollierte ihre Straße.«
»Da konnte sie doch nichts sehen.«
»Oh doch. Zu ihrem Geburtstag hatte sie von ihrer Tochter ein Nachtsichtfernglas bekommen. Sie war total begeistert.«
Hatte sie den Mörder von Friederike Petzold gesehen und musste deswegen sterben?
»Wer wusste denn von dem Glas?«
»Ach, ein paar Leuten
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