Seelenriss: Thriller
eine Kopfschmerztablette mit einem Glas Leitungswasser herunter, eilte ins Badezimmer, band sich die schulterlangen Haare zu einem Zopf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Auf Zehenspitzen schlich sie über die knarrenden Dielen am Wohnzimmer vorbei, um Lukas, der noch immer tief und fest auf der Couch schlief, nicht aufzuwecken. Dann stieg sie auf ihre Vespa und machte sich auf den Weg zum Tatort.
Der Regen hatte nachgelassen, und die Luft war nicht mehr ganz so drückend schwül wie am Abend, als Lena zwanzig Minuten später ihre Vespa in einiger Entfernung zum Bürogebäude der Anwaltskanzlei Lentz & Partner abstellte. »Wer um alles in der Welt hat die Presse informiert?«, murmelte sie verärgert, während sie auf das Meer von Blaulichtern zuging. Sogar auf dem Revier der Mordkommission gibt es doch immer wieder undichte Stellen – alles eine Frage des Bestechungsgeldes.
Einerseits konnte Lena verstehen, dass die Journalisten nach Informationen gierten und Antworten auf all die ungeklärten Fragen wollten, andererseits war noch mehr mediale Aufmerksamkeit wahrhaftig das Letzte, was sie bei den Ermittlungen gebrauchen konnten. Lena steuerte auf den abgesperrten Bereich zu, und ihr Blick suchte die Menge nach ihrem Kollegen ab. Wulf Belling war nicht der Typ, der gerne im Rampenlicht stand, und sie entdeckte ihn etwas abseits der Fernsehkameras. Er war gerade dabei, einen Wachmann zu befragen. Stattdessen stürzten sich die Reporter jetzt wie hungrige Hyänen auf Volker Drescher, der in diesem Moment in seinem schwarzen Mercedes vorgefahren kam. Er trat im frisch gestärkten Hemd und dunkler Anzugshose vor die Kameras und gab bereitwillig ein erstes Statement ab. Mein Gott, hat der sich rausgeputzt. Fehlt nur noch, dass er sein neues Buch in die Kamera hält , dachte Lena kopfschüttelnd.
Plötzlich fiel ihr beim Überqueren der Straße ein kräftig gebauter Mann ins Auge, der etwas abseits des Menschenauflaufs stand und jetzt zu ihr herüberstarrte. Er mochte vielleicht dreißig, vierzig Meter von ihr entfernt stehen. Als ihre Blicke sich trafen, wandte er sich rasch ab, zog die Kapuze seines dunklen Pullovers tiefer ins Gesicht und stahl sich davon. Wer zum Teufel …?
Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass sie diesen Mann im Auge behalten sollte. Lena folgte ihm in einigem Abstand die Straße hinunter zum Spree-Ufer. Sie beschleunigte ihren Schritt, doch ehe sie ihn einholen konnte, verschwand der Mann in einen unbeleuchteten Park. Einen Moment dachte sie daran, Belling zu verständigen, aber dafür blieb jetzt keine Zeit. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, eilte sie dem Fremden hinterher und starrte ins Dunkel des Parks.
Im fahlen Mondlicht zeichneten sich die Umrisse von Büschen und Bäumen ab, die im aufkommenden Wind raschelten. Lena strengte all ihre Sinne an, um sich zu konzentrieren. Dahinten! Beim Springbrunnen! Ein Schatten löste sich aus der Dunkelheit. Sie wirbelte herum und rannte mit klopfendem Herzen über die nasse Wiese bis zur nahe gelegenen Unterführung. Der beißende Gestank von Urin und Taubendreck stach ihr in die Nase, und im roten Lichtschein einer Bierreklame zeichneten sich aufgedunsene Gestalten ab, die zwischen Einkaufswagen voll Pfandflaschen ihren Rausch ausschliefen. Hastig wandte Lena den Kopf nach allen Seiten. Von dem Mann fehlte jede Spur. Scheiße!
Auf einmal machte Lena eine breitschultrige Gestalt auf der Brücke aus, die auf die andere Seite des Ufers lief. Lena hastete die Stahltreppen hinauf und sprintete über die Brücke. Der Mann war noch gut hundertfünfzig Meter entfernt, und sie hatte Mühe, ihm auf den Fersen zu bleiben. Als sie sich ihm bis auf weniger als dreißig Meter genähert hatte, bog er blitzschnell in eine Einfahrt und verschanzte sich in einem düsteren Hinterhof. Lena rannte ihm hinterher. Der Atem stach ihr in der Lunge, während ihre Augen hastig den heruntergekommenen Hof absuchten, in dem allerlei Sperrmüll herumlag. Durch das schwache Licht umliegender Wohnungen konnte sie kaum mehr als Umrisse erkennen.
Komm schon, wo versteckst du dich? Sie stützte sich mit einer Hand an der Hauswand ab, um zu verschnaufen, während sie sich mit der anderen die Schläfe rieb, da ausgerechnet jetzt das schon vertraute Pochen in ihrem Schädel einsetzte. Verdammt, reiß dich zusammen!
Plötzlich hörte sie ein Rascheln bei den Mülltonnen. Das Adrenalin verdrängte den Schmerz, als Lena langsam darauf zuging. Glasscherben von
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