Seelenriss: Thriller
würde sich beeilen müssen, und betete darum, dass dieser gottverdammte Anwalt noch immer in seinem Büro im neunten Stock sitzen würde, so wie in den vergangenen Nächten. Die Putzkolonne würde sich von den unteren in die oberen Stockwerke hocharbeiten. Er musste es hinter sich bringen und über die Nottreppe verschwinden, ehe sie im neunten Stock aufkreuzen, den Anwalt finden und Alarm schlagen würden.
Er nahm das Messer aus der Brusttasche seines Kapuzenpullovers und machte sich mit einem eiskalten Grinsen auf den Weg zur Kanzlei im neunten Stock.
22
Kurz darauf in der Kanzlei von
Lentz & Partner …
Es war das Geräusch von Schritten, das Mark Eisfeld aus seinen Gedanken zum Gerichtsprozess am nächsten Tag riss. Verwundert sah er von seinen Akten auf und blickte sich zum Flur um. »Yoani?«, rief er aus seinem Büro.
Nichts.
»Sag bloß, du hast schon wieder etwas vergessen?«
Erneut kam keine Antwort.
Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch stand er auf, um nachzusehen. Im Flur war alles still. Übermannt von Müdigkeit lockerte Eisfeld seine Krawatte und unterdrückte ein Gähnen. Offenbar war es Zeit, Schluss zu machen und ins Bett zu gehen. Bis zur Gerichtsverhandlung blieben ihm ohnehin nur noch wenige Stunden, und mit etwas Glück wäre Esther um diese Zeit sogar noch wach. Er stand auf, um das Fenster zu schließen, da hörte er es plötzlich wieder: dumpfe, feste Schritte. Dieses Mal hatte er es sich gewiss nicht eingebildet – und wer auch immer das war, es war nicht seine Assistentin. Seine Miene war wie versteinert, als er im Spiegelbild der Fensterscheibe die Silhouette einer breitschultrigen Gestalt hinter sich sah.
»Hallo, Mark …«, sprach der Eindringling im schwarzen Kapuzenpullover mit ruhiger, sonorer Stimme.
Der Anwalt hielt den Atem an und drehte sich entgeistert um. »Wer sind Sie? Wie sind Sie hier hereingekommen?«
Der Eindringling stellte seinen Handwerkerkoffer ab und schenkte ihm ein kaltblütiges Lächeln. »Ich habe dir eine Botschaft zukommen lassen … erinnerst du dich?«
Eisfeld spürte, wie sich jede Faser seines Körpers anspannte. »Was wollen Sie? Sie haben kein Recht, hier …« Er verstummte, als sein Blick zum Papierkorb schnellte, in dem zerknäult jene Morddrohung lag, die er vor wenigen Tagen zugesandt bekommen hatte. In seiner Laufbahn als Anwalt war es nicht das erste Mal gewesen, dass er eine solche Nachricht erhalten hatte, daher hatte er auch dieser keinerlei Bedeutung beigemessen.
Unsicher hob Eisfeld den Blick. Die blanke Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er plötzlich eine Messerklinge in der Hand des Mannes aufblitzen sah. Eisfeld wollte zum Telefon eilen, um den Sicherheitsdienst zu verständigen. Doch der Eindringling war schneller, stellte sich ihm mit dem Messer in der Hand in den Weg und hielt ihm die Klinge an die Kehle.
»Bitte, wir … wir können doch über alles reden«, bettelte der Anwalt mit brüchiger Stimme und hob die Hände, als wollte er sich ergeben. Er schloss die Augen und winselte wie ein kleiner Schuljunge, während der Fremde langsam mit der Messerspitze seinen Hals hinauffuhr.
»Vergiss es – du hattest deine Chance.«
23
In derselben Nacht …
Das unnachgiebige Klingeln ihres Telefons riss Lena unsanft aus dem Schlaf. Benommen tastete sie auf dem Nachttisch nach ihrem Handy. Es war Wulf Belling. Lena knipste die Nachttischlampe an. Müde setzte sie sich im Bett auf und warf einen Blick zum Wecker. Kurz nach halb drei.
»Ja, was gibt’s?«, fragte sie schläfrig.
»Es hat ein weiteres Opfer gegeben – und es besteht kein Zweifel, dass der Mord auf das Konto dieses Scheißkerls geht«, drang die Stimme ihres Kollegen viel zu laut aus dem Telefon. »Dieses Mal hat er sich selbst übertroffen«, fügte Belling nach kurzem Zögern hinzu. »Das Opfer ist ziemlich übel zugerichtet.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Lena hielt sich das Handy mit einer Hand ans Ohr und zog sich hastig an, während Belling ihr die grausamen Details des jüngsten Mordes berichtete. Plötzlich verharrte sie mitten in der Bewegung, und jegliche Müdigkeit fiel von ihr ab. »Moment – das Opfer ist männlich? Was hat das zu bedeuten?«
»Gute Frage. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, Sie hätten eine Antwort darauf. Ein gegen Frauen gerichtetes Mordmotiv können wir demnach wohl ausschließen«, vermutete Belling und nannte ihr die Adresse des Tatorts.
Weiter über die neuen Fakten nachgrübelnd, spülte Lena in der Küche
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