Seelenriss: Thriller
herumliegenden Flaschen knirschten unter den Sohlen ihrer Turnschuhe. Sie fuhr mit der Hand zum Schulterholster und musste feststellen, dass sie ihre Dienstwaffe zu Hause liegengelassen hatte. So ein Mist!
Sie näherte sich einer Mülltonne und versetzte ihr einen kräftigen Tritt, so dass diese mit einem ohrenbetäubenden Scheppern umfiel und der stinkende Müll sich über den Asphalt ergoss. Dahinter war niemand. Eine hervorhuschende Ratte ließ Lena zurückweichen. Im selben Moment stürzte jemand hinter ihr aus einem Treppenaufgang und rannte davon. Lena fuhr herum. »Stehen bleiben oder ich schieße!«, brüllte sie, als halte sie eine Pistole auf ihn gerichtet, und rannte hinterher. Dieses Mal schaffte sie es, den Mann einzuholen. »Hände auf den Rücken und Gesicht an die Wand!«
Der Flüchtige blieb ihr mit dem Rücken zugewandt stehen und tat wie geheißen, da flammten vollkommen unerwartet die Scheinwerfer eines Wagens auf, der reifenquietschend um die Ecke gebogen kam. Lena blinzelte gegen das grelle Licht an.
Es war jene unachtsame Sekunde, die der Mann für sich nutzte, um sich blitzschnell nach einer zerbrochenen Flasche zu bücken und sie Lena aus nächster Nähe ins Gesicht zu schlagen. Lena ging zu Boden. Ein gleißender Schmerz schien ihr Gesicht zu spalten, und sekundenlang sah sie Sterne. Warmes Blut strömte ihr über die Finger, als sie die Hände vors Gesicht hielt und sich ächzend aufrichtete, um den Mann nicht aus den Augen zu verlieren.
»Peters! Mein Gott, sind Sie verletzt?«
Zu ihrer Überraschung war es Wulf Belling, der aus dem Wagen stieg und auf sie zugelaufen kam. »Was tun Sie hier?«, fragte Lena.
Keuchend blieb er stehen. »Das Gleiche könnte ich Sie fragen! Ich habe gesehen, wie Sie diesem Kerl gefolgt sind, und bin sofort hinterher.« Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Donnerwetter, Sie haben vielleicht ’nen Zahn drauf.«
Lena ließ sich von ihm aufhelfen. »Er ist da entlang«, sagte sie schnell und zeigte in die Richtung, in die der Mann verschwunden war. »Los, kommen Sie!«
»Hören Sie, Peters – ich kann das hier auch alleine durchziehen!«
Doch Lena dachte gar nicht daran, auf ihn zu hören. Sie biss die Zähne zusammen und eilte mit blutüberströmtem Gesicht zum Wagen. Fluchend gab sich Belling geschlagen. Sie hatten den Mann fast eingeholt, da lief dieser zur nahe gelegenen U-Bahn-Haltestelle hinunter. Belling bremste scharf ab. Lena sprang aus dem Peugeot und hetzte mit Riesensätzen die Rolltreppe hinunter, während Belling Mühe hatte, ihr hinterherzukommen.
»Schnell, wir verlieren ihn!«, rief Lena, als sie die am Gleis stehende U-Bahn erblickte. In einem Wahnsinnstempo rannte sie über den Bahnsteig und sah gerade noch, wie sich der Mann in den hintersten Wagen flüchtete. Die Türen schlossen sich, als Lena dort ankam. Sie versuchte, die Türen mit aller Kraft wieder auseinanderzuschieben. Doch zu spät. Sie ließen sich nicht mehr öffnen, und nur wenige Sekunden danach setzte sich die U-Bahn in Bewegung. »Scheiße!«, fluchte Lena und stampfte wütend auf, während sie mit blutverschmiertem Gesicht neben Belling auf dem Bahngleis stand und zusehen musste, wie die roten Rücklichter des Zugs im Tunnel verglühten.
24
Eine Stunde danach …
»Du hast schon bessere Tage gesehen«, sagte Lena zu der Frau im Badezimmerspiegel, die aussah, als hätte sie einen Boxkampf hinter sich. Ihr Gesicht brannte höllisch bei der allerkleinsten Bewegung ihrer Mimik. Dabei war sie glücklicherweise vor dem Schlag noch zurückgezuckt, sonst wäre ihre Nase jetzt sicher gebrochen.
Im Anschluss an die Verfolgungsjagd war Lena mit Belling zum Revier gefahren, um ein Phantombild anfertigen zu lassen; viel hatte sie von dem unter der Kapuze verborgenen Gesicht allerdings nicht erkennen können. Doch die entscheidende Frage, die ihr unentwegt im Kopf herumspukte, lautete: War dieser Mann, der offenbar schon vor ihr am Tatort gewesen war, der Gesuchte, der für diese kaltblütigen Morde verantwortlich war?
Lena tupfte sich das Blut von der aufgeplatzten Unterlippe und spürte unendliche Wut in sich aufsteigen. Wut auf sich selbst, denn sie hätte den Kerl verdammt noch mal kriegen müssen! Zu allem Überfluss blieben ihr kaum mehr als vierundzwanzig Stunden, um diesen Fall noch zu lösen. Andernfalls würde Volker Drescher seine Drohung wahr machen und sie endgültig von den Ermittlungen entbinden.
Drescher war ein Hitzkopf, der stets seinen Willen durchsetzen
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