Seelenriss: Thriller
Tage an, in Ordnung?«
»Ach komm, sei nicht sauer – ich hab noch Wein im Kühlschrank und dachte, vielleicht hast du ja Lust, spontan vorbeizukommen«, hörte sie ihn noch sagen, ehe sie auflegte. Der Akku ihres Handys wurde zunehmend schwächer, und der Zeitpunkt hätte unpassender nicht sein können. Zudem war ein Anruf von Lukas, der ausschließlich dazu diente, sein schlechtes Gewissen zu erleichtern, so ziemlich das Letzte, was sie in ihrer gegenwärtigen Lage gebrauchen konnte.
Plötzlich sah Lena am Ende der Straße das Scheinwerferlicht eines Wagens aufflammen. Erleichtert ließ sie die Schultern sinken und steckte ihr Handy wieder ein. Na endlich. Doch entgegen ihrer Annahme, es handle sich um Belling, entpuppte sich der entgegenkommende Wagen nicht als Peugeot, sondern als Range Rover. Der Wagen parkte in der gegenüberliegenden Hofeinfahrt. Das Scheinwerferlicht erlosch, und Lena beobachtete, wie ein älteres Ehepaar mit einem schwanzwedelnden Dackel ausstieg. Als sie Lena bemerkten, blieben sie kurz stehen und sahen zu ihr herüber.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte der schnauzbärtige Mann.
Lena trat ein paar Schritte vor. »Wissen Sie, ob die Hardings verreist sind?« Sie gab die Ahnungslose und schenkte dem Mann ein freundliches Lächeln. Kaum war der Name gefallen, nahm die Frau den Dackel hoch und verschwand ins Haus.
»Und was wollen Sie von denen?«, fragte der Schnauzbärtige skeptisch, während er sich daranmachte, die Gepäckstücke aus dem Kofferraum des Rovers auszuladen.
»Ich war zufällig in der Gegend und dachte, ich statte ihnen spontan einen Besuch ab.«
Der Mann stellte einen Koffer ab und schüttelte nur den Kopf. »Wie es scheint, waren die Hardings nicht sonderlich beliebt bei ihren Nachbarn«, sagte Lena, da sah sie auf einmal eine Gestalt, mittelgroß und von kräftiger Statur, in einem Kapuzenpullover aus dem Haus der Hardings eilen. Lena kniff die Augen zusammen. Das muss Christoph Harding sein. Im nächsten Moment hörte sie, wie ein Garagentor geöffnet wurde. Dann Motorengeräusch. Lena hielt den Atem an, als sie im fahlen Schein des Mondlichts einen Lieferwagen in die entgegengesetzte Richtung davonfahren sah. Wenn sie nicht alles täuschte, handelte es sich um jenen Lieferwagen, der sie neulich auf dem Heimweg von Matthias’ Praxis verfolgt und um ein Haar überfahren hatte. Großer Gott! Tausend Gedanken brachen gleichzeitig über sie herein, und sie entschied, keine Sekunde länger auf Belling zu warten.
»Polizeieinsatz – ich brauche Ihren Wagen!« Lena schrie fast und streckte dem schnauzbärtigen Mann ihren Dienstausweis entgegen.
Der Mann blickte verdattert auf. »Hey, was soll das? Sind Sie verrückt geworden?!«
Doch Lena hatte keine Zeit zu verlieren. Sie sprintete zur Fahrertür, setzte sich hinter das Steuer des Rovers und drehte hektisch den Zündschlüssel um. Etwas ungeübt legte sie den Rückwärtsgang ein und setzte den Wagen zurück auf die Straße, ehe sie mit offenstehender Heckklappe davonkurvte und die übrigen Gepäckstücke über die Straße geschleudert wurden.
»Stehen bleiben! Das können Sie nicht machen!«, brüllte ihr der Mann hinterher, doch Lena drückte weiter aufs Gas. Der Lieferwagen war mehr als einhundert Meter von ihr entfernt, und sie raste über eine rote Ampel, um an ihm dranzubleiben. Gleichzeitig musste sie genügend Abstand halten, um ihm unauffällig zu folgen. Obwohl sie jederzeit damit rechnete, von Harding im Rückspiegel gesehen und erneut in einen Hinterhalt gelockt zu werden, dachte sie keine Sekunde daran, umzukehren.
Als sie sah, wie der Lieferwagen nach rechts in die Berliner Straße einbog, beschleunigte Lena das Tempo und setzte den Blinker. Kurze Zeit später nahm Harding eine Abzweigung Richtung Berlin-Mitte. Lena fuhr ihm weiter hinterher, und während sie mit einer Hand das Steuer des Rovers so fest umgriff, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, tastete sie mit der anderen nach dem Handy in ihrer Handtasche. Als sie es gefunden hatte, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass der Akku ihres iPhones inzwischen gänzlich leer war.
46
Sechs Minuten später in Wilmersdorf …
»Verdammt, geh endlich ran!« Wulf Belling betete darum, dass Lena Peters noch nicht allein ins Haus gegangen war, während er in einem Wahnsinnstempo durch das Wohngebiet kurvte und zum x-ten Mal ihre Mobilnummer wählte. Doch wie die unzähligen Male davor, erreichte er lediglich ihre Mailbox.
Bellings
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