Seelenriss: Thriller
Verstand raste, und sein Hemd war nassgeschwitzt, als er vor dem Haus der Hardings scharf abbremste. Er sprang aus dem Wagen und sah sich hastig nach allen Seiten um, doch von Lena Peters fehlte jede Spur. Belling musste einen klaren Kopf bewahren, um im Geiste die nächsten, alles entscheidenden Schritte durchzugehen. Jeder noch so kleine Fehler konnte für Lena Peters den sicheren Tod bedeuten.
Keine Minute später trafen mehrere Polizeifahrzeuge sowie gepanzerte Einsatzwagen des Sonderkommandos ein. Volker Drescher war in seinem Privatwagen gekommen. Bellings Anruf hatte den Leiter des Morddezernats aus dem Schlaf gerissen. Die Wagentüren öffneten sich, und etliche Paar Kampfstiefel liefen über den Asphalt zu Hardings Haus.
Das Kommando war in mehrere Teams aufgeteilt: Eine Gruppe von fünf bis auf die Zähne bewaffneten SEK -Leuten eilte um das Haus herum. Vier weitere positionierten sich im Vorgarten, um die Eingangstür im Auge zu behalten. Die übrigen vier Männer stürmten auf Dreschers Kommando durch den Vordereingang ins Haus. Türen wurden lautstark aufgestoßen, als die Beamten des SEK die Räume sicherten. Wulf Belling hastete mit gezogener Waffe hinterher, dicht gefolgt von Volker Drescher und Ben Vogt. Während Drescher und Vogt sich im Erdgeschoss umsahen, hastete Belling eine Kellertreppe hinunter.
Im Haus war alles dunkel, und Belling rechnete bereits mit dem Schlimmsten, während er dem Lichtstrahl seiner Taschenlampe durch den düsteren Keller folgte. Je weiter er vordrang, desto stickiger wurde es, und ein stechender und zugleich fauliger Gestank stieg ihm in die Nase. »Peters?«, rief er durch die Gemäuer. »Sind Sie hier unten?«
Doch im Keller herrschte nichts als erdrückende Stille. Auch die erlösende Nachricht der Kollegen mit einem Hinweis auf Peters blieb aus. Belling spürte gleichermaßen Wut wie Verzweiflung in sich aufsteigen. Zudem nagte sein schlechtes Gewissen an ihm, da er sich einredete, das alles wäre niemals passiert, wäre er bloß ein paar Minuten früher eingetroffen. Allein der Gedanke daran, dass es für Lena Peters bereits zu spät sein könnte, machte ihn wahnsinnig.
Er folgte dem Lichtstrahl seiner Taschenlampe einen schmalen Gang entlang und sah sich mit wachsamen Augen um. Der Gestank wurde stärker, je weiter er in den Keller vordrang. Belling spürte, wie ihm der Schweiß die Schläfen hinunterrann, als er im hinteren Teil des Kellers auf eine Art Labor stieß, in dem Tafeln mit chemischen Formeln und Gleichungen an den Wänden hingen. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe wanderte über die verstaubten Regale, in denen sich verschiedene Reagenzgläser und Bunsenbrenner aneinanderreihten.
Belling zog ein Paar Latexhandschuhe aus der Innentasche seines Jacketts und streifte sie sich über. Dann nahm er einen beschrifteten Behälter aus dem untersten Fach: Salzsäure. Er stellte den Behälter zurück ins Regal und leuchtete auf die Auszeichnung an der Wand, die Nadine Harding für ihre Forschungsarbeiten über die medizinische Relevanz von Salzsäure bei Anazidität erhalten hatte. Obwohl Wulf Belling keinen Schimmer von Biochemie hatte, leuchtete ihm mit einem Schlag ein, weshalb Christoph Harding bei seinem mörderischen Rachefeldzug ausgerechnet Salzsäure zur Folter seiner Opfer verwendete. Er muss die Salzsäure in Gedenken an seine Frau und ihr Lebenswerk einsetzen, um ihr eine letzte Ehre zu erweisen.
Belling rieb sich die Schläfen und ging im Geiste erneut die Fakten durch. Alle Opfer waren bei dem Brand in der U-Bahn dabei gewesen, durch dessen Folgen Nadine Harding ums Leben gekommen war. Da der Brand aber nicht durch Menschenhand, sondern nachweislich durch einen brennenden Verteilerkasten im Gleisbereich ausgelöst worden war, blieb noch die Frage, warum die Opfer für Nadine Hardings Tod büßen sollten.
Plötzlich riss ihn eine vorbeihuschende Ratte aus seinen Gedanken. Belling schreckte zusammen. Er folgte der Ratte mit dem Lichtschein seiner Taschenlampe und beobachtete, wie sie unter einer schief in den Angeln hängenden Tür hindurchhuschte. Vorsichtig bewegte er sich auf die mit Brettern zusammengezimmerte Kammer zu. Der Gestank war jetzt so unerträglich, dass ihm übel wurde. Aber da war noch etwas anderes, das er wahrnahm: das Summen von Fliegen. Was auch immer ihn hinter dieser Bretterwand erwartete, es war die Tür zu einer Kammer des Grauens.
Mit finsterer Entschlossenheit schnappte er sich eine an der Wand lehnende Eisenstange
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