Seelensplitter: Thriller (German Edition)
Uniklinik.«
»Eine Ordensschwester, die angeblich ein Kind weggibt, weil sie schon fünf hat?«
»Das zumindest ist die Frau, die unter der Adresse gelebt hat, die du mir gegeben hast.«
»Und du zauberst ihren Aufenthaltsort einfach so aus der Tasche?«
»Ich habe zwei Tage lang Altersheime abtelefoniert. Nichts. Dann bin ich auf die Idee mit den Schwesternheimen gekommen, und siehe da …«
»Nur dass ich es richtig verstehe. Du hast angerufen und gefragt, ob in dem Heim eine Frau Heise wohnt, die früher einmal die Adresse soundso hatte?«
»Ja, so ungefähr. Allerdings hab ich mich als Anwalt ausgegeben und angedeutet, dass es sich um eine Erbschaftsangelegenheit handelt. Du glaubst nicht, wie auskunftsfreudig die Leute plötzlich werden. Da wittert jeder ein kleines Stückchen vom großen Erbtantenkuchen.«
»Wenn es wirklich die Irene Heise ist, dann gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit«, sagt Lina. »Die Frau will ihre Kinder verheimlichen.«
Che Ling sieht sie an und sagt: »Schwach, Lina, schwach. Es gibt zumindest eine weitere Möglichkeit!«
»Und die wäre?«
»Nach einem Leben in Sünde und mit unehelichen Kindern an den Hacken schlägt sie nach einer Jesuserscheinung den Pfad der Tugend ein und tritt einem Orden bei. Wer weiß, mit ein wenig Glück erzählt sie dir ja vielleicht ihre Lebensgeschichte. Du weißt, wie du mich erreichst!«
Che macht sich wieder auf den Weg.
Im Internet findet Lina das Schwesternstift St. Gabriel sofort. Außer allgemeinen Informationen über die Gründung, das historische Gebäude und dem Hinweis, dass es als Altersheim genutzt wird, erfährt sie nichts weiter.
Eine knappe Stunde später steht Lina vor der gelben Backsteinfassade des im vorletzten Jahrhundert gebauten Hauses. Großer Bedarf an Schwestern, denkt sie, schon wegen des um die Ecke liegenden Krankenhauses, das man anlässlich der Choleraepidemie errichtet hatte, als die in Hamburg grassierte.
Der kopfsteingepflasterte Hof ist penibel sauber, die angrenzenden Sträucher sorgfältig geschnitten. Der kupferne Handlauf ist im Lauf der Jahrzehnte blankgeschliffen und leicht durchgebogen.
Eine ältere Schwester mit schlohweißem Haar in grauer Tracht kommt ihr entgegen, sieht sie freundlich an und fragt: »Wissen Sie, wo hier der Bus abfährt?«
Lina deutet in die Richtung der Hauptstraße.
Die Schwester sagt: »Wohin wollte ich doch gleich?« Sie sieht Lina ratlos an.
Alzheimer macht auch vor den Barmherzigen Schwestern nicht Halt, denkt Lina und hofft, dass sie eine Waffe hat, sollte es bei ihr selbst einmal so weit sein. Hauptsache man ist sich über seinen Zustand noch im Klaren und vergisst nicht, wo man sie verstaut hat.
»Vielleicht sollten Sie sich im Haus noch mal erkundigen«, meint Lina zu der verwirrten Schwester, die sie dankbar anlächelt und fragt: »Welches Haus?«
Lina zeigt auf das Gebäude, aus dem die Frau eben herausgekommen ist.
»Da? Ich gehe doch nicht in ein fremdes Haus und frage wildfremde Leute nach dem Weg! Also hören Sie mal!«
Eine jüngere Schwester kommt zu ihnen und nickt Lina zu, während sie die alte Dame unterhakt und mit beschwichtigenden Worten ins Haus hineinführt.
»Aber ich muss doch nach Hause!«, protestiert die Frau. »Das Essen kochen, das macht doch sonst keiner. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
Der Boden des geräumigen Treppenhauses ist vollkommen mit Terrazzo ausgelegt. Von irgendwoher steigt Lina der Geruch nach frisch gebohnertem Linoleum in die Nase und weckt Erinnerungen, die sie sofort abschüttelt. Im ersten Stock entdeckt sie ein kleines Schild, das ihr den Weg zur Verwaltung weist. Alles wirkt alt, gediegen und gepflegt. Sie klopft an und tritt ein. Unvermittelt kommt sie sich vor wie in einer anderen Welt. Ein hochmodernes Büro, in dem zwei junge und eine ältere Frau um einen Schreibtisch stehen und auf einen Bildschirm blicken.
Die Ältere sieht hoch und sagt: »Wie können wir Ihnen helfen?«
»Ich möchte gerne Frau Heise besuchen. Frau Irene Heise.«
Die ältere Schwester sieht sie freundlich an und sagt: »Da wird sie sich aber freuen. Und Sie sind?«
»Ihre Tochter«, sagt Lina und rechnet damit, dass jetzt zumindest eine der Frauen umfällt. Doch nichts dergleichen geschieht. Kein Laut, keine Überraschung, keine Scham, kein peinlich berührtes Hochziehen der Augenbrauen.
»Da wird sie sich gleich doppelt freuen«, sagt die ältere Frau, die sich Lina als Schwester Claudia vorstellt.
»Doppelt?«, fragt
Weitere Kostenlose Bücher