Seelensplitter: Thriller (German Edition)
und so Zeugs.«
»Dass sie ihr Spaßprogramm hier nicht an die große Glocke hängen wollten, verstehe ich ja, aber was soll diese seltsame Freizeitbeschäftigung mit dem Tod von Carolin und Astrid zu tun haben?«
»Sag du es mir«, erwidert Che.
»Und dann meine Adoptionsunterlagen, die Astrid aufgetrieben hat?«
»Keine Ahnung«, sagt Che Ling. »Du hast deinen ehemaligen Liebhaber und Kollegen vergessen, der noch eine Rechnung mit dir offen hat. Und diese Nachricht an dich auf dem Foto, wovon du mir erzählt hast.«
Lina nippt an ihrem Bier und zündet sich eine Zigarette an.
»Selbst mein Adoptivvater hat mich gewarnt und mir geraten, die Vergangenheit ruhen zu lassen.«
»Kluger Mann, dein Adoptivvater«, sagt Che.
»Was ist mit dir?«, sagt Lina und lächelt Che an, der den Filter von seinem Kaffee hebt. »Du bist doch nicht im Ernst in der Provinz geboren?«
»Neuss«, sagt Che. »Meine Eltern hatten ein Chinarestaurant. Das wurde ja in den Siebzigern zum großen Renner.«
»Schweinefleisch süßsauer, knusprige Ente«, sagt Lina.
»Auch das hat uns ernährt«, sagt Che. »Dann kamen plötzlich die Gerüchte auf, dass es in den Küchen der Chinesen unhygienisch zugehe. Angeblich sei Ratten- und Hundefleisch im Essen und Heerscharen von Kakerlaken in der Küche. Die Rache der deutschen Gastronomie.«
Che klopft den Filter gegen den Tassenrand, stellt ihn beiseite und nimmt einen Schluck Kaffee.
»Und ich hab gedacht, ihr Chinesen trinkt nur Tee«, sagt Lina mit einem Lächeln.
»Klar, alle Chinesen haben einen Zopf und sondern pausenlos Glückskeks-Sprüche ab«, erwidert Che.
»Und dann bist du da weg, ich meine aus dem schönen Neuss?«
»Die Gerüchte haben uns das Genick gebrochen. Die Leute kamen nicht mehr. Chinesische Grillplatten, Fleisch vom örtlichen Schlachter, Gemüse vom Wochenmarkt. Hat aber alles nichts mehr genutzt. Und in der Schule war ich der Hundefresser.«
»Aber wie hast du das alles ausgehalten?«, fragt Lina.
Sein Gesicht hellt sich auf.
»Es war auch die Zeit der Kung-Fu-Filme. Also hab ich mir ein paar Techniken antrainiert, mir einen Klassenkameraden geschnappt, gegen den ich ankommen konnte, und hab ihn mit wenigen Kunstgriffen k. o. geschlagen. Die anderen hielten mich ab dem Moment für gefährlich und ließen mich in Ruhe.«
»Und in Hamburg hast du dich dann als Zuhälter versucht?«
»Zuhälter! Da sind drei Frauen auf mich zugekommen und haben gesagt: Spiel mal den Zuhälter, Che. Spielen, verstehst du? Einfach mal auftauchen, so tun, als ob ich das Geld abkassiere. Damit sie in Ruhe gelassen werden und sich jeder Freier mit Hang zur Gewalt zurückhält, weil er denkt, wenn er da nicht aufpasst, hat er die Triaden am Hals.«
»Aber da muss man sich doch Respekt verschaffen …«
»Damals nicht. Das Gerücht, eine Organisation würde hinter mir stehen, hat schon gereicht.«
»Bis die Albaner alles übernommen haben«, sagt Lina.
»Wir hatten einen Schlupfwinkel draußen in Wandsbek, man ließ uns in Ruhe, ich hatte mein Auskommen, indem ich den gefährlichen Chinesen gespielt hab.«
»Und die Frauen wollte dir niemand abjagen? Ich meine …«
Che Ling lacht und sagt: »Die waren alle jenseits der vierzig und viel zu aufsässig, die wollte sich keiner von den Typen ans Bein binden. Die wollen junge Frauen, denen sie Angst einjagen können. Die geil aufs Shoppen sind und für das Geld fast alles machen.«
Gut, dass es auch andere Lebensgeschichten gibt, denkt Lina, dennoch: Che Lings Geschichten kommen ihr vor wie ein kleiner Urlaub von dem Rätselraten.
»Trotzdem wurdest du wegen Zuhälterei verurteilt.«
»Die Frauen haben sich in die Wolle gekriegt. Und da ist eine Brasilianerin ausgerastet und hat mich angezeigt.«
»Armer Opferfürst«, sagte Lina.
»Armer Idiot«, sagt Che. »Hätte mich nie drauf einlassen sollen. Ich wollte eigentlich studieren.«
»Und was? Betriebswirtschaft?«
»Ich bin eingeschrieben«, sagt Che. »Und manchmal gehe ich auch zu den Vorlesungen.«
»Rück raus, was ist es? Soziologie, Geschichte oder … warte, lass mich raten. Psychologie?«
Che Ling schüttelt den Kopf.
»Also? Tropische Forstwirtschaft? Maltherapie?«
»Japanologie«, sagte Che.
«Du als Chinese …?«
»Darüber reden wir ein anderes Mal«, sagt Che Ling. »Sag mir lieber, wie es jetzt weitergehen soll.«
Wenn sie das nur wüsste. Vielleicht sollte sie einfach alles laufen lassen. Abwarten. Aber wohin mit den verschwommenen Bildern, die in
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