Seelensunde
sich brav hinsetzte und anhörte, was Roxy ihm zu sagen hatte. Kurz gefasst war es darauf hinausgelaufen, dass Dagan ein Dickkopf und im Gegensatz zu Malthus ein ziemlicher Stinkstiefel sein konnte, oder sei es auch nur, dass Malthus das besser zu verbergen wusste. Malthus sei, so Roxy, für eine Mission, bei der diplomatisches Geschick angesagt war, auf jeden Fall besser geeignet.Damit war die Sache entschieden.
So hatte Malthus dann die Finger gekreuzt, das Portal geöffnet und war, ohne lange zu überlegen, hindurchgegangen. Ein nicht unbedingt planvolles Vorgehen, aber das war nun einmal seine Art, die Dinge anzugehen.
Anders als bei seinem Besuch auf Sutekhs Geheiß bei Osiris, wo er ohne Umwege im Säulengang gelandet war, der zur Halle der Zwei Wahrheiten, also gewissermaßen direkt vor Osiris’ Haustür, führte, hatte Malthus auf dem Weg zu Izanami weniger Glück. Als er aus dem Portal trat, hatte er keine Ahnung, wo er sich befand. Es war nicht der gewöhnliche Übergang von einem Totenreich in ein anderes oder von der Ober- in die Unterwelt. Er konnte sich nur vorwärts tasten und musste sich dabei, so gut es ging, auf sein Gehör verlassen.
Es war ein äußerst unbehagliches Gefühl. Izanamis Welt, wenn sie es denn war, kam ihm reichlich verdreht vor. Er hätte nicht einmal sagen können, wie lange er schon hier war. Es war, als wäre er in Einsteins verbogene Zeit gefallen, die jeder normalen Erfahrung spottet. Vielleicht war es aber auch nur ein Wahrnehmungsproblem in dieser absoluten Finsternis.
Der Untergrund schien aus glattem Steinboden zu bestehen. Aber genau war das nicht festzustellen, denn Malthus konnte den Widerhall seiner Schritte nicht hören. Es war das Gefühl beim Auftreten, das ihn einen harten Untergrund vermuten ließ.
Nachdem er eine Strecke zurückgelegt hatte, blieb er abrupt stehen. Etwas war plötzlich anders. Malthus schärfte all seine Sinne, um herauszufinden, was es war. Gerade hatte er den Eindruck, als wäre er durch eine Wand aus Wackelpudding gestoßen.
„Malthus Krayl.“ Die weibliche Stimme, die ihn ansprach, glich einem zarten Glockenspiel. Eine zauberhafte Stimme, wie die sanfte Brise in einer Baumkrone, lockend, verheißungsvoll, auch wenn er sich hütete, auf diese Verheißungen etwas zu geben.
Malthus wich nicht von der Stelle, weil er sich die Peinlichkeit ersparen wollte, unversehens auf ihrem Schoß zu landen. „Nennen Sie mich Mal. Und mit wem habe ich die Ehre?“
Das Lachen, das ihm antwortete, war so süß, dass Malthus unwillkürlich lächeln musste. Aber er riss sich zusammen. Er wollte sich hier nicht vorführen lassen.
Nach einer Pause antwortete die Stimme: „Ich bin Izanami.“ Malthus kam es vor, als klänge sie ein klein wenig beleidigt, zumindest überrascht, dass er nicht wusste, wen er vor sich hatte.
„Freut mich außerordentlich.“ Es reizte ihn, seinen Charme spielen zu lassen, mit dem er bei den meisten Frauen Erfolg hatte. Ein nettes Kompliment zog immer. Aber etwas warnte ihn, und so hielt er lieber den Mund. Izanami war gewiss nicht die meisten Frauen . Sie gehörte zu den mächtigsten Gottheiten der Unterwelt und hätte irgendeine charmante Floskel als plumpe Schmeichelei oder – schlimmer noch – als Respektlosigkeit empfunden. „Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht“, sagte er dann. Die Zweifel, ob das klug war, kamen zu spät. Da war es schon heraus.
„Ein Geschenk?“
Malthus glaubte, eine leichte Verwunderung herauszuhören. „Mondblumen. Ipomoea alba. Sie blühen nur nachts.“
Keine Antwort, nur eine flüchtige, kalte Berührung seiner Hand, und die Blumen waren fort.
„Warum bist du gekommen, Mal?“
„Ich bin hier, um nach meinem Bruder zu sehen.“
„Und der ist hierher gekommen, um sich etwas zu holen, was ihm nicht gehört, eine Schwarze Seele, die mir zugedacht ist.“
Malthus blinzelte ins Dunkel, verzweifelt bemüht, etwas zu erkennen, das Gesicht auszumachen, das zu ihm sprach. Ihre Stimme klang so verlockend. Sie war so sanft, so einschmeichelnd. Aber er konnte nicht das Geringste erkennen, und eine dumpfe Ahnung sagte ihm, dass das auch ganz gut war. „Dafür hat er das Mädchen bei sich. Die junge Frau, nach der du gefragt hast.“ Malthus war im Bilde. Seltsamerweise war Sutekhdieses Mal äußerst mitteilsam gewesen und hatte ihm von der Forderung der Shikome erzählt. Malthus hatte sich darüber gewundert. Kooperationsbereitschaft gehörte nicht gerade zu den Stärken seines
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