Seelentausch - Ein dunkles Familiengeheimnis (German Edition)
scheint ja auch nicht das Beste zu sein.«
Hannelore führte ihren Kaffeebecher an die Lippen, verharrte kurz in dieser Position und stellte ihn wieder zurück auf den Tisch, ohne etwas getrunken zu haben.
»Es war einige Monate nach Peters Geburt«, begann sie mit deutlich belegter Stimme zu erzählen. »Mutter war vollkommen mit den Nerven am Ende. Obwohl es schon knapp ein Jahr her war, seit Vater das Weite gesucht hatte, konnte sie sich immer weniger mit der Situation arrangieren. Mutter war ständig nörgelig und gereizt, nichts machte ihr mehr Spaß. Die meisten Tage verbrachte sie völlig zurückgezogen hier im Esszimmer.« Hannelore holte mit beiden Armen aus und schnaufte verächtlich dazu. »Es war ein Mittwoch. Das werde ich nie vergessen. Ich hatte einen dringenden Termin beim Arzt. Ich wusste, dass ich Stunden im Wartezimmer verbringen würde, und entschied daher, Peter nicht mitzunehmen. Er war ein unruhiges Kind und hätte nach kurzer Zeit die gesamte Praxis zusammengeschrien. Ich bat also Mutter, auf das Baby aufzupassen, während ich weg sein würde.«
Hannelore brach ab und starrte auf ihre Hände. Dann lehnte sie sich erneut zurück, behielt ihre Hände aber unter ständiger Beobachtung. In dieser Position blieb sie über eine Minute lang sitzen.
Maren versuchte Blickkontakt herzustellen, aber Hannelore schien mit den Gedanken weit, weit weg zu sein. Ob es klug war, sie zu drängen? Möglich, dass Hannelore gar nichts mehr preisgab, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlte. Vielleicht war Peters Mutter ohnehin der Meinung, schon zu viel erzählt zu haben. Andererseits konnte Wolfgang jeden Moment ins Zimmer schneien, und dann würde Hannelore garantiert keinen Ton von sich geben. Erst recht nicht, wenn Wolfgang den Alten im Schlepptau hatte. Also lieber doch nachfragen.
»Was ist geschehen, als du beim Arzt warst?«
»Mein Baby wurde ihr gestohlen!«, schrie Hannelore plötzlich mit überschnappender Stimme und schnellte in die Höhe. »Gestohlen, weil meine Mutter nicht aufgepasst hatte!«
Maren glaubte erst, sich verhört zu haben. Wer wurde gestohlen? Doch nicht etwa Peter? Bevor sie nachfragen konnte, begann Hannelore, im Esszimmer auf und ab zu laufen.
»Mutter wollte nur kurz einkaufen«, sagte sie, und Maren hörte, dass es ihr noch immer schwerfiel, ihre Stimme im Zaun zu halten. »Weil es beim Schlachter so voll war, hatte sie keine Lust, mit dem Kinderwagen in das Geschäft zu gehen. Also ließ Mutter die Karre kurzerhand vor dem Schaufenster stehen. Noch Jahre später hatte sie nicht verstanden, warum ich ihr dieses Verhalten so übel genommen habe. Mutter sagte stets, dass es zu ihrer Zeit ganz normal war, Babys vor den Geschäften in ihren Karren zu parken.« Hannelore stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab, während sie einmal tief Luft holte. »Jedenfalls war Peter verschwunden, als Mutter mit zwei frischen Bratwürstchen aus dem Laden kam. Der Kinderwagen stand genauso abgestellt da, nur Peter fehlte.«
»Das ist schrecklich«, stellte Maren leise fest.
Hannelore lachte bitter.
»Ja, das war es. Natürlich wurde sofort eine intensive Suchaktion eingeleitet. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Beamte aus Hamburg und Lübeck halfen den Landpolizisten. Aber es war vergebens. Peter tauchte nicht wieder auf. Die nächsten Tage waren die furchtbarsten meines Lebens.«
In einem der halb verfallenen Schuppen knallte eine Tür. Hatte Wolfgang den alten Greis endlich ausfindig machen können? Maren horchte angestrengt nach draußen und meinte sogar, Stimmen zu vernehmen. Wolfgang und Lackner schienen auf dem Weg hierher zu sein.
Hannelore sah nicht so aus, als ob ihr die Geräusche aufgefallen wären. Sie war am Rand des Raumes stehen geblieben, und ihr rechter Schuh trat in die Ausläufer der Kaffeeüberschwemmung.
»Auf den Tag genau eine Woche später tauchte Peter wieder auf. Jemand hatte ihn direkt hier vor unsere Haustür gelegt. Es fehlte ihm nichts. Er war kerngesund.« Hannelore schaute Maren mit großen Augen an und ließ sich auf dem Stuhl nieder, auf dem vorhin der ausgetickte Lackner gesessen hatte. »Diese Horrorwoche werde ich nie vergessen. Oft wache ich heute noch schweißgebadet mitten in der Nacht auf und kann nicht mehr weiterschlafen. Es war Mutters Schuld gewesen. Alles war Mutters Schuld!«
8
Das Anwesen war ein schlichter Klinkerbau aus den 60er-Jahren. Das Mauerwerk bröckelte an verschiedenen Stellen, Moos wucherte zwischen den
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