Seelentausch - Ein dunkles Familiengeheimnis (German Edition)
Blicke der Frau auf seinem Gesicht.
»Frau Heyde hat noch niemals Besuch bekommen«, stellte sie dann mit einer Stimme fest, die ärgerlich und überrascht zugleich klang.
»Dann wird es ja mal Zeit«, antwortete Peter und versuchte sich an seinem gewinnbringendsten Lächeln. Es schien ihm nicht gelungen zu sein, denn die Frau klappte das Buch mit einer ausholenden Bewegung wieder zu.
»Wer sind Sie überhaupt?«
»Ihr Enkel.«
»Leben Sie im Ausland?«
»So in etwa«, antwortete Peter genervt. Musste er sich jetzt rechtfertigen? Schließlich war es nicht seine Schuld, dass Mutter und Oma sich verkracht hatten.
Die Frau nickte, reichte ihm die Hand und stellte sich als »Meissner« vor.
»Kommen Sie. Ich werde Sie begleiten.«
Sie bogen auf einen schmalen Gang.
»Wie geht es meiner Oma eigentlich? Ich meine gesundheitsmäßig?«
Er spürte Meissners Blick auf sich ruhen. Die Frau schien nicht die beste Meinung über ihn zu haben.
»Für ihre sechsundachtzig Jahre ist Frau Heyde noch erstaunlich gut auf dem Damm«, erwiderte sie knapp.
Peter ließ sich ein wenig zurückfallen und schaute auf die allesamt gleich aussehenden Türen, die auf beiden Seiten des Flures abgingen. Das Ambiente erinnerte ihn an ein günstiges Hotel. Es sah nicht schmuddelig aus, gewiss nicht, aber eben auch nicht schick. Es war einfach und zweckmäßig. Zweckmäßige, runde und schlichte Leuchten an der Decke, zweckmäßiger grauer Stoffteppich, Kacheln, die zweckmäßig bis zur Hälfte der Wand hinaufreichten, wahrscheinlich weil man sie besser sauber halten konnte.
»Wir sind da«, sagte Meissner und wies mit dem Zeigefinger auf die linke Tür. Noch bevor Peter etwas erwidern konnte, drehte sie den golden schimmernden Knauf herum und drückte ihn vorwärts. Völlig vor den Kopf gestoßen taumelte er hinein.
Die Tür wurde wieder geschlossen, und es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass er sich nun ganz allein in diesem Zimmer befand. Allein mit seiner Oma, die er bisher lediglich auf wenigen vergilbten Fotografien gesehen hatte. Es kostete ihn Mühe, sich umzusehen. Einen Moment dachte Peter ernsthaft darüber nach, der Frau im Poloshirt einfach zu folgen.
Zuerst fiel sein Blick auf den mächtigen roten Sessel mit der wahnsinnig hohen Rückenlehne. In solchen Ungetümen saßen in seinen Vorstellungen ausschließlich finster dreinblickende Märchenonkel, die emotionsgeladene Weihnachtsgeschichten zum Besten gaben. Er erinnerte sich an einen Theaterbesuch in seiner Kindheit, bei der ein berühmter Schauspieler fast zwei Stunden lang aus einem dicken Buch vorgelesen und dabei auf einem ganz ähnlichen Möbelstück gethront hatte. Während sein Gedächtnis das Bild des längst verstorbenen Darstellers von einst klar und deutlich zeigte, verglich Peter dessen Erscheinung im Sessel mit dem, was seine Augen nun erblickten. Der Schauspieler wirkte, trotz seines schon damals hohen Alters, als gehörte er einfach in so eine mächtige Sitzgelegenheit. Sie umrahmte ihn gewissermaßen wie ein teures, zu Fleisch gewordenes Kunstwerk. Bei der Person, auf die er nun schaute, wirkte der Sessel indes völlig fehl am Platze. Eine zierliche Gestalt presste sich in den leuchtenden Stoff und machte den Eindruck, als würde sie von dem kolossalen Möbelstück gleich verdaut werden. Die alte Dame trug eine schlichte dunkelrote Hose und eine blaue Strickjacke, die bis oben zugeknöpft war. Sie besaß helle, graue und sehr volle Haare. Ihre Wangen waren schmal und runzelig.
Peter versuchte in Gedanken, eines der wenigen Fotos seiner Oma, die Mutter noch behalten hatte, mit dem Gesicht auf dem Sessel zu vergleichen.
Seine Mutter hatte große graue Augen, und irgendwie fand er, dass diese Augen hier sehr ähnlich waren.
»Guten Tag«, sagte Peter zögerlich und merkte, wie er ins Stottern geriet. »Mein Name … ich bin … also … Peter Heyde, dein Enkel. Wir haben uns bisher nie getroffen.«
Er verschluckte sich und wartete dann vergebens auf eine sichtbare Reaktion der Person gegenüber. Als die Frau ruhig blieb, zog sich Peter einen alten Holzstuhl heran, der vor einem winzigen Schreibpult stand, und sprach weiter.
»Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ich hätte mich schon viel früher bei dir melden müssen. Aber nun ist etwas passiert, und ich weiß nicht, an wen sonst ich mich wenden soll.«
Endlich hob die Frau den Kopf. Ihre Hände klammerten sich in den Stoff der Seitenlehne, und ihr Blick huschte interessiert
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