Seelentausch - Ein dunkles Familiengeheimnis (German Edition)
seine grenzenlose Wut wäre in diesem Moment genau das Richtige.
Er hatte versagt und würde ohne Balg vor den Hauptmann treten müssen.
War es im Schuppen dunkler geworden?
Karl Gustav konnte die Umrisse des schweren Motors nicht mehr deutlich erkennen. Sobald sich draußen auch nur die kleinste Wolke vor die Sonne schob, musste man hier drinnen das Licht einschalten. Die zwei Dachziegel, ehemals durchsichtig, jetzt nur noch vergilbt, ließen kaum Helligkeit hindurch.
Es wurde sowieso Zeit, aufzustehen.
Karl Gustav wollte sich gerade mit den Händen abstützen, um sich besser erheben zu können, als ein Geräusch an der Tür zu ihm herüberdrang.
Nun aber schnell. Fehlte noch, dass Wolfgang ihn hier auf dem schmutzigen Boden vorfinden würde. Die anderen hielten ihn doch eh nur für den durchgedrehten, senilen Alten.
Es klapperte erneut an der Tür.
Im nächsten Moment nahm er einen Schatten wahr. Die Umrisse einer Gestalt erschienen. Karl Gustav blinzelte mit zusammengekniffenen Augen. Er hatte die Tür geschlossen, und sie hatte sich noch keinen Millimeter bewegt.
Aber das war auch gar nicht nötig. Die Erscheinung kam einfach durch sie hindurch.
Ihm war klar, wer ihn da besuchte, noch bevor der Schuppen von einem gespenstisch roten Licht ausgefüllt wurde.
Der Hauptmann hatte seine Augen an , wie Wilhelm irgendwann einmal so trefflich bemerkt hatte.
»Die Zeit wird knapp«, flüsterte der Kommandeur eindringlich.
Karl Gustav hatte das Gefühl, als würde die Stimme direkt in sein Ohr hineinsprechen. Aber das war nichts Ungewöhnliches. Den Hauptmann konnte man stets verstehen, denn seine Worte hörte man im Kopf. Der Hauptmann hatte Zugang zu seinem Innersten, jederzeit und überall.
»Wir werden Probleme bekommen«, wisperte die Gestalt. »Maren und Peter werden sie verursachen.«
Karl Gustav knurrte verächtlich und rotzte dann herzhaft auf den alten Asphaltboden. Er konnte sich nicht zurückhalten, es musste einfach sein.
»Diese spindelige Hure«, keifte er.
Der Hauptmann stand nun unmittelbar vor ihm. Das tiefe Rot blendete in den Augen. Karl Gustav senkte den Kopf. Fasziniert betrachtete er seine Spucke auf dem Boden. Hunderte kleiner Bläschen waren um eine einzelne, große gruppiert und schillerten im Licht der Augen in unzähligen Rottönen. Hatte er jemals etwas Schöneres auf der Welt gesehen?
»Die Zeit zum Handeln ist gekommen. Du musst Maren töten«, sagte der Hauptmann nun erstaunlich laut und mit einer Entschiedenheit, die ihn erschauern ließ.
»Das Weibsstück töten?« Karl Gustav ließ den Blick über seine schmutzigen Schuhe streifen. »Warum?«
»Maren beeinflusst Peter. Am Ende verlieren wir noch alles. Dann waren die Jahre umsonst. Dir geht dein Teil des Geschäftes durch die Lappen. Willst du dieses Risiko etwa eingehen?«
»Natürlich nicht.«
»Du hast fast dein ganzes Leben gewartet. Endlich nähert sich deine Erlösung, aber dieses Weib zerstört alles.«
Karl Gustav stand auf und trat mit dem Absatz gegen die Wand. »Blöde Hure.«
»Maren muss sterben.«
»Sie muss sterben.«
Er schaute dem Hauptmann ins Gesicht und spürte die stechende Hitze, die von seinen Augen ausging. Niemand hielt diesem Blick länger als ein paar Sekunden stand.
»Mein Körper ist schwach«, sagte Karl Gustav kläglich.
Der Hauptmann hob die rechte Hand. »Geduld«, erwiderte er, während sich der unnatürlich dünne Zeigefinger in die Höhe streckte. »Bald beginnt dein zweites Leben.«
»Wilhelms hat immer noch nicht begonnen«, stellte Karl Gustav missmutig fest.
Der Hauptmann stieß einen Laut aus, der nicht im Entferntesten menschlich klag. So knurrten Hyänen, die sich um das letzte Stück Fleisch zankten.
»Peters Geist ist sehr stark. Es hat lange gedauert. Nun aber ist es bald so weit. Die Anzeichen sind unverkennbar.«
Karl Gustav atmete hektisch aus.
»Aber …«
»Noch heute wird sich die Gelegenheit für dich ergeben, Maren zu töten«, unterbrach ihn der Hauptmann.
»Heute schon?«
»Sei einfach in Marens Nähe. Ihr werdet allein sein.«
Schlagartig war die Hitze aus seinem Gesicht verschwunden. Der Hauptmann hatte sich umgedreht und ging langsam und anmutig auf den Ausgang zu. Karl Gustav war überzeugt, dass er auch einfach so hätte verschwinden können. Der Hauptmann konnte erscheinen, wo immer es ihm passte. Dazu bedurfte es keiner windschiefen Schuppentür. Dennoch war es ihm wichtig, den Anstand zu wahren, dort herauszugehen, wo er auch eingetreten
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