Seelentod
sie solle sich am Riemen reißen, sie, Vera, müsse einen Mörder finden. Nächstes Mal, dachte sie, würde sie Joe Ashworth schicken, um mit Mattie Jones zu reden. Auch wenn es Vera in all den Jahren gelungen war, ihn ein bisschen abzuhärten, war er doch immer noch ein Weichei.
«Über mich», sagte Mattie mit einem Anflug von Stolz. «Über meine Kindheit und das alles.»
«Also eine Art Therapiesitzung?» Vera fragte sich, wozu das hatte gut sein sollen. Die Frau hier saß im Gefängnis. In der näheren Zukunft würde sie niemanden mehr umbringen. Warum hatte sich Jenny Lister ihre Fähigkeiten, in den Köpfen anderer Leute herumzustöbern, nicht für diejenigen ihrer Schützlinge aufgespart, die davon noch profitierten?
Mattie sah konfus drein. Die Idee einer Therapie war ihr offenbar völlig fremd. «Das war doch für ihr Buch», sagte sie.
«Was für ein Buch?»
«Mrs Lister hat ein Buch über mich geschrieben.» Die Frau lächelte, wie ein Kind, dem man aus heiterem Himmel einen Lutscher geschenkt hatte. «Auf dem Umschlag sollte ein Foto von mir sein und all so was.»
Vor der Tür tauchte die Wärterin wieder auf. Selbst von ihrem Stuhl aus konnte Vera den Rauch riechen, der sie einhüllte. Sie hatte einen Pappbecher Kaffee und eine Dose Cola dabei. «Alles okay da drinnen?», fragte sie munter. Sie stellte die Cola neben den Fächer auf das Bettschränkchen. Noch so eine freundliche Geste, von der Vera diesmal aber keine Notiz nahm.
«Haben Sie davon gewusst?»
«Wovon?» Die Wärterin ging sofort in Verteidigungshaltung, und Vera mäßigte ihre Stimme.
«Dass Matties Sozialarbeiterin vorhatte, ein Buch über sie zu schreiben, über den Elias-Jones-Fall?»
Die Wärterin schüttelte den Kopf. «Die Sozialarbeiterin hat Mattie regelmäßig besucht. Das fanden wir alle wahnsinnig nett, es kam ja sonst niemand zu Besuch.»
Vera drehte sich wieder zu der Patientin um, die sich die Coladose geangelt hatte und gerade die Lasche aufriss.
«Michael hat Sie also nie besucht?», fragte sie. «Von ihm haben Sie im Gefängnis keinen Besuch bekommen?»
Einen Moment lang war Mattie wie erstarrt, die Coladose schwebte auf halbem Weg zu ihrem Mund. Dann schüttelte sie den Kopf.
«Haben Sie ihn gebeten, zu kommen? Haben Sie mit ihm telefoniert? Arbeitet er noch da, wo er früher gearbeitet hat?»
Zu viele Fragen, das erkannte Vera sofort. Mattie konnte das nicht alles auf einmal verarbeiten. Vera wollte gerade von vorn anfangen, langsamer, da antwortete die junge Frau, wobei sie sich in ihrem Bett wand.
«Er hat gesagt, er hat eine neue Freundin. Sie kriegt ein Kind von ihm. Er hat gesagt, ich soll ihn nicht noch mal belästigen.»
«Haben Sie Mrs Lister davon erzählt?» Vera beugte sich vor. Wenn die Situation es erforderte, konnte sie durchaus die Freundliche, Mütterliche spielen. Und hier hatten sie ein mögliches Motiv. Da Michael Morgan demnächst Vater wurde, wollte sich das Sozialamt vielleicht einschalten. Vielleicht glaubten sie, das Kind sei in Gefahr.
«Ich war total wütend», sagte Mattie. «Ich habe meine Telefonkarte hergenommen, um mit ihm zu sprechen, und da sagt er mir das mit dem Baby. Meinen Jungen hat er nicht leiden können, und mir hat er gesagt, dass er nie ein Kind mit mir will, aber mit seiner Neuen hat er eins gemacht. Das ist doch unfair. An dem Nachmittag ist Mrs Lister gekommen, und ich habe angefangen zu weinen und ihr alles erzählt.»
«Wann war das?», fragte Vera. «Wie lang ist das her, Mattie?»
Mattie schüttelte den Kopf. «Nicht lang», sagte sie.
«War das beim letzten Besuch von Mrs Lister? Beim vorletzten?»
Aber das wusste Mattie nicht zu sagen. Sie weinte jetzt leise vor sich hin, diesmal nicht um die ermordete Sozialarbeiterin, sondern um sich selbst, weil der Mann, den sie zu lieben geglaubt hatte, sie im Stich gelassen hatte.
Sal trat von einem Fuß auf den anderen, sie wollte die Frau in ihrer Obhut beschützen, aber sie wollte auch helfen. «Mattie hat es sich sehr zu Herzen genommen, als der erste Todestag von Elias bevorstand», sagte sie. «Da hat sie wieder Kontakt zu Morgan aufgenommen. Ich glaube, ein paar von den anderen Frauen haben irgendwas über den Fall in den Lokalnachrichten gesehen und sie sich dann vorgeknöpft.»
Vera strahlte sie an. «Danke, Herzchen.» Sie wandte sich vom Bett ab und senkte die Stimme. «Wenn Mattie noch irgendwas in Zusammenhang mit der Sozialarbeiterin erwähnt, dann geben Sie mir Bescheid. Ich muss Jennys
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