Seelentraeume
stürzte die Straße entlang in den Wald.
Die vier Strolche fielen, wanden sich in Krämpfen, doch ihr Anführer und mehr als zwei Drittel der Sklavenhändler blieben stehen. Ihre Magie hatte versagt.
Der hellhaarige Anführer kam auf die Veranda gerannt. »Du alte Hure.«
Tulip war entkommen. Wenigstens das Kind war entkommen.
Der Mann zog einen Revolver aus dem Holster. »Du verfluchte Schlampe.«
Éléonore starrte ihn an. Sie würde hier sterben, auf dieser Veranda, aber sie würde ihn mitnehmen. Éléonore spie Blut aus und sprach die Worte, legte ihre letzte Macht hinein und zapfte die Magie an, die sie ans Leben band. Für einen Todesfluch gab es kein Heilmittel. »Ich verfluche dich. Du wirst den Sonnenuntergang nicht mehr erleben …«
»Fick dich.« Er hob den Revolver. Der schwarze Lauf starrte sie an.
Im Geist legte sie die Arme um ihre Enkel, den rechten um George, den linken um Jack. Ringsum blühten Blumen, und Rose winkte ihnen aus einem sonnenhellen Garten zu. »… und du wirst leiden, bevor du stirbst.«
Die letzten Worte verließen ihre Lippen und trugen ihr Leben mit sich fort. Die Welt verging.
Charlotte blickte auf die Uhr am Armaturenbrett. Fünfzehn Minuten nach Mittag. Sie war jetzt fast eine Stunde weg. Zehn Minuten nach ihrer Meuterei war die behelfsmäßige Bürgerwehr von den Rooneys aufgebrochen. Jetzt fuhren drei mit Bewaffneten beladene Laster vor ihr her, begleitet von einem halben Dutzend Edger auf Pferden.
Es dauerte zu lange. Bitte, Mutter der Morgenröte, bitte, lass es nicht zu spät sein.
Der erste Truck beschleunigte. Die beiden folgenden schlossen sich an. Charlotte runzelte die Stirn.
Auf der Ladefläche vor ihr reckten Leute die Hälse und spähten nach rechts. Charlotte beugte sich vor, um besser durch die Windschutzscheibe sehen zu können.
Eine dicke schwarze Rauchsäule stieg über die Baumwipfel.
Oh nein.
Sie legte sich auf die Hupe.
Die Trucks sausten die Straße hinauf. Charlotte umklammerte das Lenkrad. Fahr, los, fahr!
Die Bäume teilten sich.
Ein Feuersturm verschlang das Haus. Orangerote Flammen loderten aus dem Dach, verkohlte Stützbalken ragten heraus wie die Knochen eines Skeletts. Feuer füllte den Türrahmen, lohte im Haus, züngelte über die Verandapfosten und spie Qualm aus. Orange Flammen schlugen aus den Fenstern und leckten an den Hauswänden.
Charlotte brachte den Laster abrupt zum Stehen, stieß die Fahrertür auf und rannte über die Wiese. Die Hitze traf sie, warf sie zurück. Sie riss eine Hand hoch, um ihre Augen vor dem Schlimmsten zu schützen. Ascheflocken wirbelten.
Im Gras lagen Leichen. Vier Bewaffnete, mit verrenkten Gliedern, die Gesichter groteske Masken. Charlotte überlief eine Gänsehaut. Plötzlich war ihr zugleich heiß und kalt.
Ein schrilles Wimmern ließ sie herumfahren. Am Rand der Wiese lag Daisy auf dem Bauch. In ihrem Kopf klaffte ein nasses, rotes Loch. Tulip war neben ihrer Leiche zusammengebrochen.
Charlottes Magie brach aus ihr hervor, glitt prüfend über die Mädchen … Tulip war unverletzt. Ein paar kleinere Blessuren im Gesicht, aber nichts Schlimmes. Daisy war tot. Unwiederbringlich, unabänderlich tot. Keinerlei Lebenszeichen mehr.
Kälte durchfuhr sie. Sie war nicht schnell genug gewesen. Sie hatten sie um Hilfe gebeten, und sie war nicht schnell genug gewesen.
Tulip saß neben ihrer Schwester im Gras, mit blutigen Händen, das Gesicht mit Tränen und Dreck verschmiert, und jammerte. Ihr Schmerz versetzte Charlotte einen Stich, heiß, heftig und überwältigend. Es gab nichts, was sie hätte tun können. Ihre ganze Magie und Macht reichten nicht aus.
Helen Rooney ließ sich neben Tulip ins Gras sinken. Sie wollte sie in die Arme nehmen, doch Tulip riss sich los und weinte hemmungslos weiter. Schwarzer und grauer Ascheregen fiel ihr ins Gesicht. Sie hörte nicht auf zu jammern, als wolle sie sich die Augen aus dem Kopf und ihren Schmerz aus der Brust weinen.
»Wo ist Éléonore, Schatz?«, fragte Helen.
Tulip deutete auf das Feuer.
Charlotte wandte sich dem Haus zu. Auf der Veranda lag eine schwarz verkohlte Gestalt, wenig mehr als eine ausgebrannte Hülle.
Charlottes Welt blieb abrupt stehen.
Sie konnte sich nicht bewegen, starrte nur den zerbrochenen, verbrannten Leichnam an. Éléonore … Éléonore war tot. Wie konnte das sein? Ihr Verstand weigerte sich zu begreifen. Éléonore hatte doch noch vor weniger als einer Stunde vor Leben gestrotzt. Eben noch hatte sie gelebt, war
Weitere Kostenlose Bücher