Seelentraeume
T-Shirt hatte einen U-Ausschnitt und war mit etwas Dunklem bekleckert. Schmutz, vielleicht Ruß. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem losen Knoten aufgesteckt. Sie hatte volle Lippen, große, runde Augen und ein weiches, feminines Kinn. Eine schöne, kultivierte Frau, die allerdings ein Mangel an Gefühl umgab, eine unheimliche, unnatürliche Ruhe.
Ihre Blicke trafen sich. Jede Zelle seines Körpers schlug Alarm. Obwohl er ihre Augenfarbe aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte, war er sicher, dass sie graue Augen hatte.
Also gab es sie wirklich.
Vor Schreck rebellierte sein Magen.
Was machst du hier? Renn weg!
Renn weg, bevor sie dich sehen!
Die Gespräche erstarben. Die Sklavenhändler hielten Maulaffen feil.
Crow hob sein Gewehr auf und ging in Lauerstellung.
»Nun,
das
nenne ich freie Ware«, brummte Voshak von seinem Platz auf einem umgestürzten Holzklotz.
»Wo kommt sie her? Es gibt hier in der Gegend keine Städte«, meinte Crow leise. »Ich finde, wir sollten sie abknallen.«
»Warum die Eile?« Voshak beugte sich vor. »Keine Schusswaffe, kein Messer, und wenn sie Blitze schleudern könnte, hätte sie uns längst erledigt.«
»Mir gefällt das nicht«, sagte Crow. »Vielleicht gehört sie zu ihm.«
Voshak betrachtete den Käfig. Richard wandte sich um und blickte ihm in die Augen, worauf der Anführer die Achseln zuckte.
»Der Jäger lebt im Weird. Sie trägt Jeans. Und wenn sie doch zu ihm gehört, wird er gerne dabei zusehen, wie ich ihr den Verstand aus dem Leib ficke.« Voshak hob die Stimme. »He, Süße! Hast du dich verlaufen?«
Die Frau blieb ihm eine Antwort schuldig. Aber sie sah ihn weiter an, und ihr Blick verriet Richard, dass sie sich keineswegs verlaufen hatte. Nein, sie war genau da, wo sie sein wollte. Sie führte irgendetwas im Schilde. Aber wie war sie hierhergekommen?
»Wo kommst du her?«, wollte Voshak wissen. »He. Rede mit mir. Machen sich deine Leute keine Sorgen um dich?«
Die Frau sagte nichts.
»Sie ist taub«, vermutete jemand.
»Eine hübsche Frau, die nicht spricht? Du liebe Güte, dafür können wir das Doppelte verlangen.« Voshak grinste.
Aus einem halben Dutzend Kehlen ließ sich zustimmendes Gelächter vernehmen.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Crow noch einmal.
»Ich hab so was schon mal erlebt.« Pavel spuckte ins Feuer. »Sie hat einen an der Waffel.«
»Was soll das heißen?«, fragte ein jüngerer Sklavenhändler.
»Dass sie aus dem Edge ist oder aus dem Broken«, erklärte Voshak. »Die stolpern manchmal über die Grenze zum Weird und bleiben im Grenzstreifen hängen. Für den Rückweg reicht die Magie nicht mehr. Irgendwann spuckt die Grenze sie dann aus, allerdings sind sie dann nicht mehr ganz dicht. Die Lampen brennen, aber keiner zu Hause. Dann wandern sie ziellos herum, bis sie verhungert sind.«
»Zu viel Magie.« Pavel wedelte mit der Hand vor seinem Ohr herum. »Brutzelt denen das Gehirn weg.«
»Das gefällt …«, begann Crow.
»Ja, alles klar, wissen wir. Dir gefällt das nicht.« Voshak verzog das Gesicht, dann grinste er. »Keine Sorge, Süße«, rief der Anführer der Sklavenhändler. »Wir nehmen dich unter unsere Fittiche. Komm her, setz dich zu mir.« Er klopfte einladend auf seinen Holzklotz.
Die Frau rührte sich nicht.
»Komm doch!« Voshak winkte. »Alles gut.«
Die Frau kam näher. Sie bewegte sich mit angeborener Grazie.
Richard beobachtete sie. Als sie sich hinsetzte, warf sie ihm einen kurzen Blick zu, und er erkannte hinter ihren Augen einen klugen, scharfen Verstand. Nein, ihr hatte es nicht das Hirn weggebrutzelt. Ganz und gar nicht. Doch Voshak hatte recht. Sie war unbewaffnet. Und wenn sie doch Blitze werfen konnte, saßen die Sklavenhändler dafür zu weit auseinander. Irgendwer würde sie über den Haufen schießen, ehe sie alle entwischen konnten. Er musste aus diesem verfluchten Käfig raus.
»Gib mir mal die Kette da«, forderte Voshak.
Pavel gab ihm die fast vier Meter lange Hundekette. Die Sklavenhändler fesselten damit Menschen – bei der Länge konnten die Sklaven sich gerade noch in die Büsche schlagen, um sich dort zu erleichtern. Voshak lächelte und legte der Frau unmittelbar über dem Schuh eine Fußfessel um den Knöchel. Dann schloss er die andere um den eigenen Knöchel. »So, das hätten wir. Fast wie verheiratet.«
Die Frau ließ durch nichts erkennen, ob sie verstand, was mit ihr geschah.
Voshak beugte sich zu ihr und strich ihr eine dünne Haarsträhne aus dem langen,
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