SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
Entscheidung.
Das schwarze, kantige Haupt eines Blutbaumes erhob sich über den Rand der Treppe und wurde in glimmendes Rot gehüllt von einem Licht, das unter ihm zu kommen schien. Liran nahm das Messer fester in die Hand, wollte es erheben, aber es ging nicht. Verdutzt sah er auf seinen Arm, der leblos die Klinge hielt. Dann spürte er, wie sich seine Beine versteiften. Panik überkam ihn. Die Hüfte wurde kalt. Etwas schnürte ihm die Kehle zu. Der Blutbaum wurde immer größer. Pechschwarz, Qualm stieg aus seinem verkohlten Körper. Weißliche Flecken bedeckten seinen massigen Oberkörper. Liran versuchte sich zu bewegen, doch nun waren auch seine Schultern wie eingefroren. Sein Blick wurde unscharf. Der Blutbaum, nur noch ein dunkler Schemen, trat vollends aus der Öffnung und blasser Rauch stieg aus seinem Maul.
Liran wollte schreien, doch seine Stimmbänder waren hart wie Stein. Kälte kroch in seinen Kopf. Er versuchte verzweifelt seine Magie zu entfachen, ihm zu helfen. Schweigen war alles, was er vernahm. Leere Stille. Der Blutbaum machte Platz und Liran sah, wie hinter ihm etwas aufstieg. Eine leuchtende Blase, in der etwas gefangen war, sich unaufhörlich und vielarmig hin- und herwand. Näher und näher kam der Blutbaum. Der Geruch hätte ihm den Atem rauben müssen, aber Liran roch gar nichts mehr. Dann stand dieses Ding vor ihm, einen Schwall Rauch gegen ihn fauchend. Der Körper des Kriegers war nur noch ein einziges Pochen und Wummern. Der Koloss ließ den Blick wandern und Liran sah, wie sich nasse, blutige Haare aus der Treppenöffnung schlängelten. A´kir Sunabru. Schritt um Schritt tauchte der Magier auf. Das grässlich zerstückelte Gesicht, schief und wirr. Hinter ihm ein weiterer Blutbaum. Dieser hielt etwas vor sich, das er dann wie ein Bündel Lumpen zu Boden fallen ließ. Sunabru breitete die Arme aus, der eine noch immer aus einer alten Wurzel geformt, drehte sich in der heiligen Kammer. Triumphierend öffnete er den schiefen Mund und Wasser tropfte ihm von Lippen und Kinn. Wie ein irrer Geist stand er in den schimmernden Lichtsäulen. Der Zauberer schlurfte an den Brunnen. Liran wollte den Dolch mitten in seine Fratze rammen, aber es ging nicht. Sunabru hob eine Hand und berührte ihn. Der Krieger spürte es nicht. Es wurde immer dunkler um ihn. Sein Atem hechelte nur noch.
»Ich werde zuerst die Schöpfung vernichten und am Ende dieses Weges werde ich dich verbrennen und dann meinen Sklaven hinzufügen«, raunte der Magier. »Ja, verbrennen werde ich dich, du wunderschöner Baum.«
›Bin ich wieder in meiner Seele?‹, fragte sich Nilah. Aber etwas in ihr sagte ganz deutlich, dass dem nicht so war. Sie stand am Rand der Welt. Wie eine gigantische Karte lag sie vor ihr und als sie ihren Blick schärfte, bemerkte sie Bewegungen. Die Kontinente bewegten sich. Afrika driftete auf Europa zu. Nord- und Südamerika gingen auseinander, wie zwei Liebende, die sich gerade eben noch an den Händen hielten. Es war atemberaubend schön.
Der Himmel über ihr war von geradezu monumentalen Ausmaßen und dabei von solcher Reinheit, dass ihr schwindelig wurde. Auch hier gab es Bewegungen. Die Sterne wanderten durch die Dunkelheit, zogen in Zeitraffer ihr eigenes Licht hinter sich her. Ein tiefes herrliches Summen glitt durch Nilahs Körper.
Als sie den Blick senkte, war die Welt verschwunden. Nur noch Wellen aus Sand, vom Sternenlicht beschienen, wälzten sich bis zum Horizont. Es wirkte wie ein stiller warmer Sommerabend, wenn die Luft wie ein Schmetterling auf der Haut sitzt und man gar nichts anderes mehr will, als die ganze Welt zu umarmen. Man wollte loslaufen, sich verstecken, alles erkunden, nie wieder zurückkehren, bevor man ins Haus gerufen wurde und alles jäh in Erinnerungen zerfiel.
Es war pure Geborgenheit.
Ein kurzes Zwinkern reichte, um mitten in diese Dünen einen Berg zu zaubern, der sich dunkel aus dem Sand erhob. Wie ein schlafender Körper lag er da, als hätte er niemals woanders seinen Platz gehabt. Ein erhabener Anblick, dem Ayers Rock gleich, der mitten aus einer endlosen flachen Ebene stach, das Sinnbild einer anderen Zeit. Nur war dieser Fels nicht rot wie der in Australien, sondern von einer Farbe, die sich plötzlich über das ganze Land legte.
Nilah setzte einen Fuß vor den anderen. Ihre Knöchel sanken in den weichen Boden und als sie sich umdrehte, waren die Spuren nicht mehr da. Sie hörte das sanfte Rieseln, wenn feiner Sand über noch feineren huschte.
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