SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
abwärts. Der Stein wurde ihr von der Strömung aus den Händen gerissen und trieb an ihr vorbei - nach oben! Sie sah ihm einen kurzen verblüfften Augenblick nach, als hätte sie die Lungen noch voller wunderbarer Luft. Dann erlosch der Phosphorstab an ihrem Gürtel. Dunkelheit. Sie gab sich dem Gefühl hin. Der lautlosen Endlichkeit, dem Loslassen.
Tiefer.
Sie breitete die Arme aus und ihre Fingerspitzen glitten über die Tunnelwand. Öliger Haut gleich. Lebendes Gewebe!? Egal.
Alles war egal. Unfertig, zerrissen. Ohne jede Liebe. Allein.
Sie lächelte ein letztes Mal und dann holte sie so tief Luft wie sie konnte, auch wenn es Wasser war.
Wärme umgab sie. Ungewöhnlich bekannte Wärme. Und eine ungewöhnlich bekannte Schwere, wie lange nicht mehr. So fühlte es sich an, wenn sie aufwachte. Wenn die Bettdecke und die Matratze unter ihr eine ganze Nacht lang ihre verströmte Hitze gespeichert hatten und aus der nur die kalte Nase hervorlugte. Wenn man liegen bleiben wollte bis zum Ende des Schuljahres, weil es draußen seit Tagen regnete. Diese wohlige Schwere auf dem ganzen Körper. Liegen bleiben – für immer.
Öffne die Augen!
Nein, sie wollte nicht. Sie wollte hier liegen bleiben – unter ...
Öffne die Augen!
Nilah blinzelte. Tropfen rannen von ihren Wimpern, an ihren Wangen vorbei und kitzelten sie. Ihre Haare schienen in den Boden unter ihr gewachsen zu sein. Schlafen. Dennoch hob sie den Kopf, langsam.
Ihr Blick war unscharf, verwirrend und dunkel.
Sie kämpfte sich auf die Knie, höher, auf die Füße. Sie stand, wankte und dann erst nahm sie wahr, was um sie herum – sie stockte.
»Grundgütiger«, hauchte sie, so wie es ihr Vater immer sagte, wenn er etwas nicht in Worte fassen konnte.
Vor ihr lag ein ... was war das? Ein Land? Nein, zu klein. Ein Kontinent? Auch zu klein. Vor ihr lag die ganze Welt in einem unglaublichen Abendrot. Ausgebreitet wie ein Teppich, der von einem Horizont bis zum anderen reichte, ohne jemals dahinter zu verschwinden. Vor ihr lag der ganze Planet Erde, ausgestreckt, zu ihren Füßen, in einem Blick – endlos und doch begrenzt.
Aber diese ganze Welt bestand aus Wellen, die sich bis über alle Vorstellungskraft hinauszogen, weiter und weiter.
Nilah stand auf und ihre Füße sanken sanft ein. Verwirrt schaute sie nach unten. Das war Sand. Warmer weicher Sand quoll zwischen ihren Zehen hindurch. Sie blickte auf und erblickte einen Himmel, wie sie ihn noch nie gesehen hatte.
Liran starrte auf die Treppenöffnung am Boden. Die Schritte wurden lauter, der Gestank der Blutbäume intensiver. Ein rötliches Schimmern drang daraus hervor.
Nie hatte er sich daran gewöhnen können, an diese Anspannung vor dem Kampf. All diese Sinnlosigkeit prallte dann auf ihn ein, der Zweifel, die Fragen, warum er nun genau auf dem Flecken Erde stehen musste, auf dem er eben stand. Warum er nicht einfach ging. Aber er kannte die Antwort. So sehr er sich auch gewünscht hätte, sich abwenden zu können, damit die anderen ruhig tun konnten, was sie unbedingt tun wollten, um ihren Atem an den Wind zu verlieren, umso starrköpfiger blieb er selbst stehen.
Es gab eine Grenze, niemand durfte diese überschreiten. Aber er hasste sie dafür. Die Mächtigen, die mit ihren Worten soviel Tod hinter sich herschleiften. Was war es, dass ihnen keine Ruhe ließ? Und wer waren all die Herzen, die sich hinter ihnen versammelten, um einem Wort zu folgen, das nicht das ihre war?
Immer waren es die Entscheidungen Einzelner, die das Leben so Vieler veränderten. A´kir Sunabru. Eine einzige zerrüttete Seele reichte, um ein ganzes Land in Blut zu tränken. Familien zu zerreißen, nichts als Trauer, Leid und Wut zu hinterlassen.
Die Kammer wartete still und stumm, nahm seinen flachen Atem auf, das rote Glühen, das mit jedem Herzschlag weiter herauf kam, zerteilte es mit seinen Speeren aus Mondlicht, brach es und ließ es zwischen den Wänden ruhelos umherwandern. Gefangen in düsterer Ausweglosigkeit.
Sein Herz wummerte jetzt. Die Muskeln spannten sich an. Er hörte Feuer und Eis auf seiner Haut knistern, übersät mit ihren blauen Symbolen. Wie sehr wünschte er sich, jetzt bei Nilah zu sein. Ihre Nähe zu spüren. Der Kuss sang immer noch auf seinen Lippen. Ein Lied, von dem er hoffte, es würde niemals eine letzte Strophe haben. Dort war er zu Hause, dort schlug es so, wie es schlagen sollte. Ruhig und verträumt und zwischen den Sternen liegend. All das war Staub geworden durch seine letzte
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