SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
über den Lippen. Mit einem Schwert und einem Kriegsbeil in den Händen. Ruhig schritt er auf die Linien der Gegner. Der Mann aber versuchte in all diesem Tosen dem Mädchen die Sprache der Drachen zu stehlen. Er presste ihr seine Hand auf das Gesicht und Nilah sah, wie etwas aus der Seele des Mädchens durch die Adern des Wiederkehrers floss. Liran schritt blutüberströmt durch das Tor, das Schwert auf dem Boden schleifend. Dann warf er es fort. Die Verbindung war durchtrennt, der Arm fiel. Ein Schrei in den Himmel, Flüche, Zorn.
Eine Steinplatte schob sich über den Mann. Dann war dort absolute Dunkelheit, so wie die, mit der Sunabru sie in die Knie hatte zwingen wollen.
Nur noch Kälte, Nässe und Warten, endloses Warten und die Erkenntnis, dass niemand kommen würde. Danach versank A´kir Sunabru in ewigen Wahnsinn.
Nilah öffnete die Augen. Der Magier stand vor ihr. Ein gebrochener Mann. Verloren und verzweifelt. In seinen Augen eine stille Sehnsucht.
Das war Toks Rat gewesen: Sie alle haben ihn gefürchtet, bekämpft, getötet. Er kehrte immer wieder zurück. Doch wenn du das Böse besiegen willst, dann musst du es verstehen. Nur so wirst du ihn endgültig bannen können.
Und Nilah verstand.
Traurig glitten ihre Fingerspitzen über Sunabrus Gesicht, jede der verschobenen Linien entlang, welche die gefangenen Seelen hinterlassen hatten. Ganz klar konnte sie die Toten darin sehen, die Kettengeister, die dahinter auf Erlösung warteten. Jede Linie durchbrach sie, flüsterte in Gedanken ein Bild. Ein Schauer durchlief den Magier, als der erste Geist sich löste, zurückkehrte an den Ort, den er liebte. Mit ihm verschwand die Narbe seines Seins. Geist für Geist trieb in die See. Das Haar wurde kürzer, dunkler, verlor das Blut der Vergangenheit.
»Die Sprache der Drachen gehört niemanden, sie war nie für dich bestimmt. Die Drachen schenken sie. Sie ist gleichermaßen Macht und Bürde.«
Sie hob ihre linke Hand, legte sie auf das Herz des Verfluchten, formte in Gedanken ein einziges Bild: «80 v. Chr. Der Blick wandert über wogendes Gras. Ein Haus in den Hügeln. Ein einfaches Haus mit roten Dachziegeln. Warmer Wind streicht durch die Fenster, den Duft von Zypressen mit sich tragend. Durch das Fenster sieht man ein Zimmer. Ein paar Holzstühle, ein Tisch, ein Bett, vor dem sich ein dünnes Tuch im Wind bewegt. Neben dem Bett steht ein Mann. Er lächelt stolz. Das Tuch huscht beiseite. In dem Bett liegt eine Frau, ihr Gesicht voller Freude und Dankbarkeit. In ihren Armen ein Kind, eben erst in diese Welt getreten. Es weint nicht, liegt an der entblößten Brust und trinkt. Durch die Kehle des Kindes rinnt die Milch des Lebens in seinen Magen, wo es warm und gut ist. Tiefe Zufriedenheit. Schläfrigkeit, Vertrauen. Der Blick hebt sich, gleitet durch das Dach, über die roten Dachziegel, durch die Wolken, bis in die Sterne.
»Geh zurück nach Hause und lebe.«, flüsterte Nilah. Sie sah, wie ihre strömenden Worte auf sein Gesicht trafen und A´kir Sunabru zu lächeln begann. Haut löste sich von seinen Lippen, Poren stiegen auf. Zelle für Zelle wehte davon. Der Magier verband sich wieder mit dem Meer, in das man ihn und seine Mutter einst gestoßen hatte. Wie eine Wolke aus Staub war er nun, als würde eine Lehmfigur im Wasser von den Gezeiten abgetragen, die wie feines, körniges Licht zur Oberfläche stieg, hinaus aus den Wellen. Am Ende stand der Mann, der soviel Leid wegen seines Leids verursacht hatte, nur noch da, blickte sie dankbar an, während seine Augen zu Salzwasser wurden, seine Hände das Meer umschlangen und er in einem letzten Akt zu Sternenstaub zerstob. Und mit ihm alles, was er geschaffen hatte. Der Wiederkehrer würde niemals mehr wiederkehren.
Das Verstummen der Gezeiten
Nilah fiel einfach um. Auf dem Rücken liegend hallte ihr Atem laut zwischen den Wänden des Crannógs. Wie wunderbar schön Atmen sein konnte. Die Augen noch immer geschlossen, pulsierte ein Licht vor ihren Lidern. Hell - Dunkel. Hell - Dunkel. Wie ein Herzschlag. Noch immer fühlte sie die Bilder. Ihr Brustkorb hob und senkte sich. Nur zögernd verschwand A´kir Sunabrus Geschichte aus ihren Gedanken. Zu intensiv waren all seine Leben gewesen, als dass sie einfach hätten verlöschen können.
Zurück blieb Nilahs Körper. Der harte Boden unter ihren Schulterblättern und die Gewissheit nach jedem weiteren Atemzug noch zu leben. Hell – Dunkel. Hell - Dunkel. War das Licht langsamer geworden?
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