SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
und alle waren sie leer. Nilahs Interesse daran erlosch recht schnell.
Sie näherte sich dem u-förmigen Klotz und stellte fest, dass es eine Art hölzerner Kommandoschreibtisch war. Wie eine Behördentheke sah er aus, mit einem schmalen Tresen. Unter dem Tisch waren Schubfächer durch bewegliche hölzerne Lamellen fast verdeckt. Zehn Fächer. Auf dem Tisch selbst standen zwei Lampen, die das Motiv der geflochtenen Säulen der Halle wiedergaben. Ein schwarzer gepolsterter Stuhl stand davor. Ein aufgeschlagenes Buch lag in der Mitte, Tintenfass und Feder daneben, wie eben benutzt. Nilah hielt die Laterne darüber. Das Buch bestand aus tadellosen weißen Seiten mit hauchdünnen roten Linien. Sie blätterte kurz darin, aber alle Seiten waren leer.
Sie ließ sich seufzend in den Stuhl fallen und augenblicklich gingen neben ihr die beiden Lampen auf dem Tisch an. Nicht nur das. Nacheinander, wie auf einen Befehl, entflammten knisternd Fackeln an den Wänden. Wie aufgereiht erstrahlten sie, als hätte man in einem Klassenraum oder Labor einen Schalter betätigt und damit eine Lichtlawine ausgelöst.
Sekunden später war die ganze Halle von einem rot-goldenen Licht durchflutet, als würde man in einem überdimensionalen Kamin hocken. Nilah schreckte hoch und stieß gegen die vordere Tischkante. Ratternd öffnete sich eine der Jalousien. Nilah ließ sich wieder auf den Stuhl zurück fallen und rieb über die Stelle, an der sie sich gestoßen hatte. Aber ihr Blick galt den linken Schubfächern, die jetzt offen dalagen. Nacheinander zog sie sie von oben anfangend heraus. Dann war die siebte Lade plötzlich entschieden schwerer. Ein Buch lag darin. Mit beiden Händen hob sie es heraus und legte es vor sich.
Gänzlich schmucklos war es. Es war ein einfaches Buch. Sie klappte es auf, aber die Seiten waren leer, bis auf einige Listen, die Materialien aufzählten und fein säuberlich untereinander geschrieben waren. Nutzlose Buchhaltung. Aber zwischen den Seiten lag ein Brief. Sie faltete ihn auseinander.
Die Handschrift war krakelig, unsicher. Deshalb hatte Nilah den Eindruck, dass dies hier inoffiziell, also persönlich geschrieben, und nicht einem Bericht entsprungen war.
Sie las:
Die Eroberung beginnt.
Ich bin ständig so müde! Warum?
Wir sind nun gelandet! Endlich. Die Stadt ist wie ein Traum, so be-
rauschend sieht sie aus. Fast schäme ich mich, sie zu belagern.
Die Mauer ist gewaltig.
Ich habe furchtbare Angst vor ihr!
Wir schleppen die Maschinen von Bord. Michael hat sich die Schulter dabei ausgekugelt. Sie lassen ihn unter Deck – vorerst. Denn wir brauchen jede Hand.
Der Sand ist unerträglich, aber alle packen mit an.
Nächtelang fliegen die Eisen- u. Brandgeschosse gegen die Stadt und hallen mit ihrem Donnern über den Strand.
Dann rennen wir.
Branden wie hunderte Wellen gegen einen Felsen und doch müssen wir immer wieder einen Schritt nach vorn tun, dürfen nicht weichen. Weichen bedeutet den Tod.
Wir müssen die Katapulte ausrichten, die Türme koordinieren. Viele sterben, in lodernden, ölig niederstürzenden Flammen, im Pfeilhagel oder unter Helme zerschmetternden Steinen ...
Diese Mauern wollen einfach nicht fallen.
Verflucht sollen sie sein, im Namen des Herrn. Michael ist heute bei dem Versuch, eine Bresche ins Tor zu rammen, verbrannt. Ich hasse diese Stadt. Ich werde sie für Michaels Tod bezahlen lassen.
Wir werden siegen. Letztendlich ist es unser fester Glaube, der diese Wilden vernichten wird.
Wir haben es geschafft, Leitern aufzustellen und einen der Türme heran zu bringen. Doch auf dem Wehrgang erschien Satan selbst. Groß und schwarz wie die finstere Unterwelt, schlug er mit einer Axt aus roten Flammen wie ein Dämon auf uns ein. Die Männer haben Angst vor ihm.
Ein Sturm zieht auf ...
SIEG!
Hunderte haben ihr Leben vor und auf den Stadtmauern gelassen. Ihr Blut hat den Boden wie einen Sumpf aufgeschwemmt. Aber aus dem Unwetter schlug die richtende Hand Gottes und zermalmte das Tor der Stadt mit nur einem Streich.
Die Stadt ist endlich unser!
Wer nicht für uns ist, ist gegen uns und wird gerichtet. Viele sind schon vor dem Fall der Stadt geflohen, haben sich mit Sack und Pack wie feiges Gesindel davongemacht.
Die Prinzessin ist unauffindbar.
Ich wünsche ihr, dass sie alle Übel der Welt erleiden muss und eines grausamen Todes stirbt.
Einsam und allein, fern ihrer so geliebten Stadt, die jetzt unser ist.
Die erste Messe war überwältigend schön.
Die Priesterin
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