SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
und hinten im Genick platziert waren, dienten wohl dazu, dieses Geschirr immer wieder nachjustieren und anziehen zu können.
So aufmerksam Nilah sich dieses Gebilde auch ansah, sie fand einfach keinen Weg, es zu lösen, ohne dabei dem Drachen Schmerzen zuzufügen. Resigniert stieß sie ihren Atem aus. Was immer sie bisher getan hatte, jetzt kam es ihr vor, als hätte sie nichts erreicht. Sie stieg herunter und ließ Hammer und Meißel fallen.
»Es tut mir so leid«, sagte sie leise. »Aber wie soll ich dir helfen, wenn ich dir gleichzeitig damit wehtue? Diese Fessel ist stärker als ich!«
Nilah konnte das nicht. Das hatte sie noch nie gekonnt, das wusste sie plötzlich. Schon immer hatte sie gefühlt, dass sie etwas in sich hatte, das die Natur wie selbstverständlich mit einschloss. Alles, egal ob Spinne, Käfer oder anderes Getier, alle musste sie mit einem Glas und einem Blatt Papier hinausbefördern. Und immer hatte sie sich gefragt, ob die Spinne den Sturz aus dem Fenster auch gut überstand und ob sie ihr deswegen vielleicht böse sei.
Sie konnte dem Drachen folglich nicht helfen, denn es war, als verrate sie sich selbst. Verloren blickte sie zurück in den Tunnel. Nein, nicht in einer Million Jahren.
»All das Sternenlicht in deinem Herzen, sag mir, wozu ist es gut, wenn es vor jedem dunklen Schatten stehen bleibt?«
Nilah wirbelte herum.
Diese Stimme! Ihre Haut kribbelte überall, ihr Herz zerfloss darin.
»Ich ...?«, stöhnte sie. Sie konnte kein einziges Wort mehr bilden. Ihr Körper wusste, welche Dinge er tun musste, um etwas zu sagen, aber er schien sich nicht mehr daran erinnern zu wollen.
»Meine Haut kann deine Gedanken hören. Ich habe sie niemals vergessen! Oh, wie könnte ich das je.«
Es klang, als hätte Wasser gesprochen. Warm und wild klangen die Silben, voller Farben und Kraft.
Die geballte Unwirklichkeit forderte ihren Preis und so fiel Nilah wie ein Sack zu Boden und tauchte unter.
Sie war in einem Sturm. Ihre Haare flogen umher, hoben sich, flatterten ihr ins Gesicht, Regen prasselte, ein Schiff ging unter, drückte sie unter die Wellen …
Als sie die Augen öffnete, schaute sie in zwei kopfgroße lichtlose Schächte, aus denen dampfende, unsichtbare Hitze drang. Sie lag direkt vor den Nüstern des Drachens.
»Wie lange war ich weg?«, fragte sie und jetzt, da sie in dieser niedrigen Lage war, sah sie das leicht geöffnete Maul. Man hatte dem Drachen auch alle Zähne entfernt. Nicht nur das. Man hatte sie anscheinend, den Wunden nach zu urteilen, mit Stemmeisen hochgehebelt, sie abgeschlagen, heraus gebrochen, oder mit großen Zangen solange an ihnen herumgerissen, bis nur noch blutige Krater übrig geblieben waren, in denen jetzt stinkende dunkle Eiterblasen waren. Und auch die Krallen hatte man mit der gleichen Brutalität herausgezogen, so dass nur klaffende Lücken übrig geblieben waren. Nilah wurde speiübel.
»Ich weiß es nicht. Die Zeit kann recht eigensinnig sein!«
Nilah setzte sich mühsam auf und musste sich von dem schaurigen Anblick regelrecht losreißen.
»Spürst du denn keine Schmerzen?«, fragte sie und deutete mit dem Kinn zu den nicht mehr vorhandenen Zähnen.
»Schmerz und Zeit haben die gleichen Eltern. Sie kommen mit sehr unterschiedlichen Gesichtern, aber sie sprechen immer eine gemeinsame Sprache. Es kommt darauf an, wem von beiden man dabei tiefer in die Augen schaut.«
»Dann möchte ich den beiden lieber niemals begegnen«, erwiderte sie entschlossen, während sie ihre Haare in ein Zopfband schlang, das sie von ihrem Handgelenk zog.
Der Drache schwieg zu dieser Bemerkung.
»Ich denke, ich möchte jetzt mein Augenlicht zurück!«
»Das kann ich nicht tun«, sagte Nilah mit relativ fester Stimme.
»Und warum nicht?«
»Ich ... ich müsste dir dabei sehr weh tun. Und das ... das kann ich nicht!«
»Nicht? Aber mich weiter leiden lassen, das könntest du?«
Was durfte und konnte man tun, um Leben zu schützen, ohne dabei selbst mit blutigen Händen dazustehen? Was nur?
Die Entscheidung bestand aus der Höhle selbst, aus dem Gesehenen und Gelesenen. Aus dem schmutzigen Eisen der dunklen Piken, aus der so unwiderstehlichen Stimme des Drachens. Einfach aus allem!
Wütend stieg sie wieder hinauf und fing an zuzuschlagen. Weg mit den Drähten, den Schrauben, den ekelhaften Halterungen, mit allem!
Nilah schnaufte wild. Endlich zersprang die erste Flügelschraube, rutschte an dem Drachen hinunter und kullerte klirrend weiter unter den
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