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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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aus, als würden sie jeden Moment mit einem Aufstand rechnen.
    Einen Augenblick lang blieb sie im Wagen sitzen und fühlte sich ein bisschen wie vor einem Duell, bevor sie den Schlüssel drehte. Der Motor verendete keuchend, und sie öffnete die Tür, wobei sie die wachsamen Blicke deutlich spürte. Sie hätte vorher noch mal was einwerfen sollen; beim Runterkommen wurde sie jedes Mal so nervös.
    »Chessie?«
    Sie ließ die Handtasche fallen, als sie herumfuhr und ins Gesicht eines Wachmanns starrte. Er kam ihr bekannt vor, ja, selbst mit dieser blöden Mütze, aber richtig einordnen konnte sie ihn nicht ...
    »Merritt Hale, weißt du noch?« Er nahm die Mütze ab, und sofort war die Erinnerung wieder da.
    »Merritt? Wow, wie geht’s dir denn so?«
    Einen peinlichen Moment lang überlegten sie, ob sie sich umarmen, küssen oder die Hände schütteln sollten, bis sie sich schließlich zu einer unbeholfenen halben Umarmung entschlossen.
    »Ist lange her, was?«, fragte er und verzog das Gesicht zu dem breiten, lausbübischen Grinsen, an das sie sich noch so gut erinnerte. »Zehn Jahre? Neun?«
    »So ungefähr, ja.«
    »Seit du weg bist, um bei der Kirche zu studieren.« Er deutete mit dem Kopf auf ihre Tasche. »Schätze, du hast es geschafft, was? Ich bin endlich rausgekommen, als ich siebzehn wurde. Weißt ja, länger behalten sie einen nicht da.«
    »Ich erinnere mich.« Sie wollte nicht, aber sie tat es. Jugendheim Corey, so hatte es geheißen, aber ein Heim war es ganz sicher für niemanden gewesen. Eher ein Zoo, aber statt draußen zu stehen und die Tiere zu beobachten, hatte man mit ihnen den Käfig geteilt.
    Merritt schien genau dasselbe zu denken. Seine blauen Augen verfinsterten sich kurz, und er drückte sich die Mütze wieder aufs rotblonde Haar. »Wie auch immer, ich schätze, du bist wegen der Geister hier.«
    Sie nickte. »Hast du welche gesehen?«
    »Ich nicht, aber ich arbeite ja in der Tagschicht. Ich kenne ein paar Kollegen, die welche gesehen haben, oder es zumindest glauben. Komm mit. Ich bring dich rein.«
    Er legte ihr die Hand ins Kreuz und bugsierte sie über den Parkplatz an den anderen Wachleuten vorbei, die sie aufmerksam beobachteten. Merritt hob die Hand. »Ich kenne sie.«
    »Warum starren die mich so an?«
    »Normalerweise würden sie dich durchsuchen und sich vergewissern, ob du nicht bewaffnet bist oder so, weißt du?«
    Chess dachte an das Messer, das im Seitenfach ihrer Handtasche steckte, und an ihr gut gefülltes Pillendöschen. Wenn sie bei jedem Besuch hier gefilzt werden würde ... hieß es vorsichtig sein.
    »Was, nur meine Tasche oder alles?«
    Er musterte sie von Kopf bis Fuß und grinste aufs Neue. Er war schon immer ein geiler Bock gewesen. Das wusste sie nur allzu gut, immerhin hatte sie ihn ein- oder zweimal rangelassen. Viel mehr hatte es im Cory-Heim nicht zu tun gegeben, und Sex war das Wertvollste, was sie damals anzubieten hatte, um sich durchzuschlagen.
    Eigentlich war das immer noch so, aber darüber wollte sie im Moment lieber nicht nachdenken. Sie war nicht wegen der Drogen mit Lex zusammen. Jedenfalls im Prinzip.
    »Alles. Mr Pyle geht kein Risiko ein, und wir auch nicht.«
    Sie speicherte diese Information zum späteren Gebrauch. Überstunden würde sie hier sicher nicht einlegen, so viel war klar. Nicht, wenn sie auf ihre Cepts verzichten musste. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, waren Juckreiz und Übelkeit im Beisein eines Verdächtigen.
    Merritt betrat mit ihr einen Gebäudeteil, der über eine Tür mit der Garage verbunden war und zum Haupthaus führte. Leuchtstoffröhren verbreiteten ein grelles Licht bis in den kleinsten Winkel, sodass nirgends Schatten entstand. Es war, als ginge man durch einen Operationssaal. Chess setzte sich die Sonnenbrille wieder auf.
    Merritt lächelte. »Mr Pyle mag es hell. Und bei den Vorfällen der letzten Zeit ...«
    Dieser Punkt sprach sicherlich für Pyle. Daran schienen die Leute, die Heimsuchungen nur vortäuschten, nie zu denken: das beinahe instinktive Verlangen verängstigter Menschen nach Licht. Seltsam, aber wahr.
    Ein Punkt für Pyle war allerdings auch ein Punkt gegen sie, aber sie würde auf keinen Fall schon so früh aufgeben.
    Am Ende des Flurs gelangten sie in einen kleinen Vorraum, der ebenfalls hell erleuchtet, ansonsten aber völlig leer war. Merritt griff nach dem leuchtenden goldenen Knauf der gegenüberliegenden Tür. »Bereit?«
    »Ich weiß nicht, was meinst du?«
    »Ich bin’s jedenfalls«,

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