Seepest
Mädchen, nun lass mich mal«, knurrte Wolf kaum
hörbar und schob Jo beiseite. Er sammelte sich kurz, ehe er mit dem rechten Fuß
kräftig gegen die Tür trat und, seine Walter PPK in beidhändigem Anschlag, mit ein paar schnellen Schritten den Flur
durchquerte. Jo und Terry, die ihm auf dem Fuße folgten, kontrollierten im
Vorbeigehen Bad und Toilette.
Wie nicht anders zu erwarten, war das Zimmer leer.
Sollte ihnen wirklich jemand zuvorgekommen sein, so war er längst über alle
Berge. Die Balkontür stand offen, und der Vorhang blähte sich im Wind.
Jo und Terry traten nach draußen und sahen vom Balkon
nach unten. » No problem , bei diesen Lianen hier«,
bemerkte Terry. »Die laden ja förmlich zum Ab- oder Einsteigen ein.«
»Die Lianen sind Glyzinen, du Ignorant«, klärte Jo ihn
auf. Dann beugte sie sich weit über die Brüstung. »Schau mal, da hängt was. Was
könnte das sein?«
»Wo denn?«
»Da unten, das Gelbe zwischen den Zweigen. Kannst du’s
erkennen?«
»Moment, das haben wir gleich.« Noch ehe Jo etwas
einwenden konnte, schwang sich Terry auf die Brüstung, prüfte kurz die
Tragfähigkeit der fingerdicken, vielfach verschlungenen Zweige, ehe er sich an
ihnen hinunterhangelte. »Ich hab’s«, drang plötzlich seine Stimme zu ihnen
hoch. »Scheint ein gelber Latexhandschuh zu sein. Ich geh ganz runter und sehe
mich dort mal um.«
»Scheint wieder ganz der Alte zu sein«, brummte Wolf,
ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen. Inzwischen hatte er sich ebenfalls
Latexhandschuhe übergezogen – weiße, wie bei der Kripo üblich – und durchsuchte
zwei herumstehende Reisetaschen. »Ordnung scheint für die Typen ein Fremdwort
gewesen zu sein«, schimpfte er abfällig.
»Stimmt. Offensichtlich haben wir es mit zwei Chaoten
zu tun«, pflichtete Jo ihm bei, die wieder reingekommen war und kopfschüttelnd
ihren Blick durch den Raum schweifen ließ. Überall lagen Kleidungsstücke,
gebrauchte Handtücher und leere Flaschen herum; die Betten waren zerwühlt, der
Aschenbecher auf dem Tisch quoll über.
Plötzlich hörten Wolf und Jo ein Geräusch hinter ihrem
Rücken. Überrascht fuhren sie herum. Durch die Tür kam Terry hereinspaziert,
mit spitzen Fingern sein Fundstück hochhaltend. Kopfschüttelnd musterte er das
Durcheinander. »Echt cool, die Bude«, kommentierte er.
»Steck das gelbe Ding hier rein«, forderte Wolf ihn
auf. Er reichte Terry einen der Asservatenbeutel, von denen er ständig welche
mit sich führte. »Hat man euch das auf der Polizeischule nicht beigebracht?«
Kommentarlos kam Terry der Aufforderung nach. Dann hob
er den Kopf. » By the way –«
Ungehalten wurde er von Wolf unterbrochen: »Mensch
Junge, red deutsch, wir sind hier nicht bei der CIA .«
»’tschuldigung … also, was ich sagen wollte: Kaum
hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen, heulte vom Parkplatz her ein
Motor auf. Ich renne zur Straße, aber leider zu spät, der Wagen war bereits
losgefahren. Könnte unser Mann gewesen sein, so eilig, wie der es hatte.«
»Ein Mann also?«
»Da bin ich mir sicher.«
Teufel noch mal, das war mehr als ärgerlich, bedeutete
es doch, dass sie den Eindringling nur um wenige Sekunden verfehlt hatten. Wolf
hätte gar zu gerne gewusst, hinter was er her war.
»Irgendetwas erkannt?«, wollte Jo wissen. »Die
Wagennummer? Oder wenigstens den Fahrzeugtyp?«
»Klein … es war ein kleiner Wagen, ein Smart
vielleicht. Ja, es war ein Smart.«
»Farbe?«
»Nun … irgendwie hell.«
»Irgendwie hell«, äffte Jo ihn nach. »Geht’s ein
bisschen präziser, Herr Kollege?«
»Entschuldige mal, er war schon zu weit weg, außerdem
ging alles so schnell.«
»Na gut, ist jetzt eh nicht mehr zu ändern«, lenkte Jo
ein.
Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als Terry
ruckartig den Kopf hob. »Moment mal, jetzt kommt’s mir wieder. Ich glaube, der
Mann hatte eine Glatze. Ja, jetzt seh ich den kahlen Schädel direkt vor mir.«
»Wenigstens etwas«, unterbrach ihn Wolf und sah
irritiert auf seine blitzenden blauen Augen mit den buschigen Augenbrauen. »Ruf
die Spusi, Jo! Vielleicht hat der Kerl ja trotz der Handschuhe Spuren
hinterlassen.« Während Jo nach ihrem Handy griff, machte sich Wolf über die
zweite Reisetasche her.
»Glauben Sie, dass der das
Chaos hier angerichtet hat?«, fragte Terry zweifelnd.
»Wohl kaum. Das haben die Bewohner des Etablissements
schon selbst besorgt. Jedenfalls sind wir gerade noch zur rechten Zeit gekommen.«
»Falls Sie damit sagen
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