Seeteufel
holte erst mal tief Luft, ehe er antwortete. »Die Heavenâs-Gate -Anhänger mucken auf. Dem âºSeekurierâ¹ liegt ein gutes Dutzend Briefe vor, in denen sich Leser über die Behandlung der Sekâ¦Â äh, der Glaubensgemeinschaft beschweren. Von Repressalien der Polizei ist da die Rede, von Störungen bei Gottesdiensten bis hin zur Einschränkung der Glaubensfreiheit.«
»Starke Worte«, warf Jo ein.
»Nicht alle Leserbriefe sind polemisch angehaucht. Nach Einschätzung von Karin Winter treibt die Leute teilweise echte Sorge um ungestörtes gottgefälliges Arbeiten in ihrer Gemeinschaft um â was immer sie darunter verstehen.«
»Das heiÃt, die Anhänger von Heavenâs Gate mobilisieren die Ãffentlichkeit â kann man das so sehen?«, brachte Vögelein den Tenor der Zuschriften auf den Punkt.
»So ist es. Und damit sind wir beim Kernpunkt angelangt: Wie beurteilen wir die Sekte und deren Mitglieder unter Berücksichtigung der vorliegenden Ermittlungsergebnisse und im Hinblick auf die nächsten zu unternehmenden Schritte?« Herausfordernd sah er Jo und Vögelein an.
»Lassen wir doch mal die jüngsten Ereignisse auÃer Acht«, sagte Jo nachdenklich, »ebenso die Namen der Verdächtigen, auf die wir in den letzten Tagen gestoÃen sind, wie Neidling, Loske, Mirko und so weiter.«
»Bretschwiler nicht zu vergessen«, warf Vögelein dazwischen.
»Auf den komme ich noch. Erinnern wir uns zunächst, was den Fall ausgelöst hat: Es war der Tod von Einstein und Havanna, gefunden in einem Boot, vor der Birnau treibend. Kurz darauf erwischte es Otto. Etwa zur gleichen Zeit stieÃen wir auf mehrere mysteriöse Todesfälle von alten Damen, die vor allem eines verband: ein mehr oder weniger groÃes Vermögen â¦Â«
»Sind doch alles alte Hüte. Worauf willst du hinaus?«, wurde sie erneut von Vögelein unterbrochen.
»Jetzt lass sie doch ausreden«, mischte Wolf sich ein und gab Jo ein Zeichen fortzufahren.
»Auf den ersten Blick scheint es, als handle es sich um zwei verschiedene Fälle. Doch alle genannten Personen wurden Opfer einer Mordserie, begangen mit Arsen. Dieses Gift stammt, wie wir inzwischen wissen, von dem Apothekendiebstahl in Augsburg. Das alles ist Fakt! Am Diebstahl beteiligt waren nach unseren Recherchen zwei Männer, von denen mindestens einer auch hier bei uns mehrerer Straftaten verdächtigt wird. So! Worauf ich nun hinauswill: Der einzige Name, der im Zusammenhang mit dem Coup in Augsburg genannt wurde, ist: Bretschwiler. Und ich fresse einen Besen, wenn dieser Bretschwiler nicht mit dem Hohepriester von Heavenâs Gate identisch ist.«
»Und was ist mit seinem Alibi?«, warf Vögelein ein.
Jo setzte eine spöttische Miene auf. »Ich habe nicht gesagt, dass sich Bretschwiler selbst die Finger schmutzig gemacht hat. Dafür wird er schon seine Leute haben.«
»Recht und schön, aber wo bleiben die Beweise? Worauf genau soll sich eine Anklage stützen?«
»Hanno hat recht«, pflichtete Wolf ihm bei. »Kein Richter würde uns bei dieser dürftigen Beweislage einen Haftbefehl ausstellen. Fakt ist nämlich auch, dass wir unsere Hausaufgaben noch nicht gemacht haben. Es ist unbestritten, dass die Spur von Augsburg direkt nach Ãberlingen führt â aber wer genau hat sie gelegt? Weshalb wurden die Witwen umgebracht? Und wieso hängen die Penner in dieser Sache drin? Wir haben von den gottverdammten Motiven der Täter noch immer null Ahnung. Wir denken zwar, dass die Vermögen der ermordeten Frauen eine Rolle spielen, wissen aber dank der Geheimniskrämerei der Testamentsabwickler noch immer nicht, wie die Erben heiÃen â abgesehen vom letzten Mordopfer, bei dem uns die Kenntnis der Erbregelung jedoch keinen Schritt weitergebracht hat. Jedenfalls, wenn Bretschwiler das Erbe ausschlägt, können wir ihm das kaum als Motiv für die Morde an den alten Frauen anhängen.«
Jo, die währenddessen ihren Kaffeerest ausgetrunken und danach leicht angewidert das Gesicht verzogen hatte, meldete sich erneut zu Wort. »Ist euch eigentlich aufgefallen, dass sich unter den Sektenmitgliedern besonders viele ältere Frauen befinden?« Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. »Ich frage mich gerade, ob die ermordeten Witwen nicht ebenfalls dazugehörten.«
Wolf und Vögelein
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