Seeteufel
geblendet. Wolf hatte sich umgehend eine Gitanes angezündet und mit nachdenklicher Miene sein Barett zurechtgerückt, das wieder einmal abzurutschen drohte.
»Scheint so, als jagten wir ein Phantom«, stellte Jo zähneknirschend fest.
Wolf stakste ein paar Schritte den Berg hinauf, als müsse er sich die Beine vertreten. Dann kam er wieder zurück. »Könnte es sein, dass wir uns getäuscht haben und der Kerl in den nächsten Hof gerannt ist?«
»Ausgeschlossen!«, konstatierte Preuss, »ich bin mir sicher, dass es hier war.«
Jo kaute auf ihrer Unterlippe. »Fakt ist jedenfalls, dass wir in dem Gebäude nichts gefunden haben â auÃer diesen Gottsuchern.«
»Auf die kann ich getrost verzichten«, knurrte Wolf. »Es gibt schon viel zu viele Heilsbringer auf der Welt. Aber Jo hat recht. Es ist zum Kotzen: keine Spur von dem Flüchtenden, kein Hinweis auf widerrechtliches Eindringen, kein Versteck, nirgendwo.«
»Und ihr haltet es nach wie vor für ausgeschlossen, dass der Täter durch die Kellerluke entwischt ist?«
»Ich sehe nichts, was dafür spräche.«
»Also«, resümierte Preuss nach einer kleinen Pause. »Wir sind uns sicher, dass der Flüchtende hier rein ist, dass er die Kellerluke nicht benutzt hat und dass von diesem Hof kein Weg in eines der angrenzenden Gebäude führt. Ergo muss der Kerl hier die Treppe hoch und in aller Ruhe ins Haus spaziert sein. Er hat sich eine dieser weiÃen Kutten übergeworfen und ist Hokuspokus in der Menge der Brüder und Schwestern verschwunden. Ich sage euch, die Leute da drin, einschlieÃlich ihres Häuptlings, haben uns nach Strich und Faden verkohlt!«
»Seh ich genauso«, pflichtete Jo ihm bei. »Ich bin dafür, dass wir uns den groÃen Meister schnappen und mitnehmen. Und dann schicken wir denen die Spurensicherung auf den Hals. Wollen doch mal sehen â¦Â«
»Langsam, Leute. Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten«, beschwichtigte Wolf die beiden. »Ich fürchte, wir können im Moment nichts tun, rein gar nichts. Der Verdacht ist einfach zu dürftig, von Beweisen mal ganz abgesehen. Was glaubt ihr, was die Presse aus diesem Fall machen würde? Schwuppdiwupp hätten wir eine Diskriminierungskampagne am Hals, aber hallo. Und noch etwas: Wie sollen wir der Ãffentlichkeit erklären, weshalb wir überhaupt hierhergekommen sind, ohne die ganze Geschichte mit dem zum Leben wiedererweckten Mordopfer preiszugeben? Die Leute würden sich totlachen, insbesondere die Täter. Im Ãbrigen halte ich eine kollektive Lüge der Sektenmitglieder â¦Â«
»Sekte?«
»Um was sonst sollte es sich handeln? Also ⦠eine kollektive Lüge halte ich für ausgeschlossen, nicht bei einer so groÃen Gruppe. Irgendeiner hätte sich bestimmt verplappert. Die Leute hatten auch gar nicht die Zeit, sich abzusprechen. Nein, wir müssen der Tatsache ins Auge sehen: Die ganze Chose war ein Riesenflop, da beiÃt die Maus keinen Faden ab.«
»ScheiÃe!«, murmelte Preuss.
»Du sagst es«, stimmte Wolf ihm zu. »Auf gehtâs, Leute, Abmarsch!«
*Â *Â *
Karin lehnte sich zufrieden zurück. Es sah ganz so aus, als ob Göbbels ihr die Wahrheit gesagt hatte. Die erste Hürde war genommen.
Sie hatte halbwegs damit gerechnet, dass der Notar sein Wissen für sich behalten würde, doch sie beabsichtigte keineswegs, sich damit zufriedenzugeben. Natürlich, seine Motive waren durchaus ehrenwert. Trotzdem: Wollte sie weiterkommen, war sie auf Informationen von ihm angewiesen, er war im Augenblick ihre einzige Quelle. Weigerte er sich ⦠nun gut, dann musste sie eben stärkere Geschütze auffahren.
»Sie wissen, Friedhelm, auch unser Berufsstand hat seine Prinzipien. Es ist noch gar nicht so lange her, da habe auch ich mich gefragt, ob es richtig ist, mein Wissen an Sie weiterzugeben. Ich habe mich aus guten Gründen dafür entschieden. Ich finde Prinzipien auÃerordentlich wichtig, es ist gut und notwendig, dass wir sie haben und uns daran halten. Rechtfertigt das aber die bewusste Inkaufnahme von Unrecht? Darf das Festhalten an Standesregeln einem anderen irreparablen Schaden zufügen? Und damit meine ich nicht nur materiellen Schaden, sondern körperlichen Schaden bis hin zur Lebensbedrohung â darum geht es nämlich im vorliegenden Fall. Das
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