Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
ihren Leib heran, weg von Mathis’ Knie.
»Ja, das war es, was Pfarrer Jeunet auffiel. Dass sie anders war. Und der Baron, der erschienen war, um Ania zur Aufbahrung zum Schloss zu bringen, wollte von alledem nichts hören.«
»Wie passt Avel ins Bild?«
Ein Schulterzucken folgte. »Ich weiß es nicht, ich denke wirklich, dass sein Sturz ein Unglücksfall war, dass er es selbst getan hat. Er hatte als Einziger keine Würgemale am Hals.«
Catheline nickte und lockerte ihren Griff, bis ihr Oberschenkel wieder Mathis’ Knie berührte. Er hob den Zeigefinger und strich über den Stoff ihres Kittels, so sanft, dass sie nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob sie die Berührung spürte oder nur spüren wollte.
»Auch wenn wir momentan oft anderer Meinung sind, das mit Ania, es tut mir leid. So unendlich leid, ich wollte dir nicht …«, flüsterte er hilflos.
»Ich weiß«, unterbrach Catheline ihn. Aber deshalb schmerzt es nicht weniger, ergänzte sie in Gedanken.
»Ich war betrunken.« Mathis hob die Hand und strich über Cathelines Arm.
Einen Augenblick beobachtete sie die Bewegung, dann schob sie seine Hand beiseite. »Du warst betrunken! Ist das jetzt die Entschuldigung? Stehe doch zu deinem Fehler, egal, ob du was getrunken hattest oder nicht.«
»Sicher habe ich einen Fehler gemacht, aber auch sie hat …« Catheline fiel ihm ins Wort: »Wir reden jetzt über dich und nicht über sie.«
»Warum sollte ich eigentlich herkommen?«, fragte Mathis kühl und richtete sich auf.
Entsetzt sah Catheline ihn an. Erwartete er, dass sie einfach so zur Tagesordnung überging? Anfänglich war das Gespräch gut verlaufen, und kaum dass sie auf sich selbst zu sprechen kamen und das Thema unbequem wurde, war das dünne Eis gebrochen. »Das ist eine gute Frage, ich weiß es selbst nicht mehr«, entgegnete sie wütend und langte neben ihr Nachtlager in das Moos. »Hier, diese Figur hat Avel geschnitzt. Es ist Blanche, nimm sie mit und gib sie ihr. Dann war dein Besuch wenigstens nicht komplett sinnlos.«
Nantes, Baustelle der Kathedrale
I ch weiß nicht, ob das der richtige Ort ist, über diese Themen zu reden«, sagte Bischof du Clergue. Zu seiner Linken arbeitete ein Steinmetz konzentriert daran, eine Heiligenfigur aus einem Steinquader zu schlagen. Rechter Hand stand der Baumeister, umringt von mehreren Männern, und erläuterte, wobei er auf einen Bauplan zeigte, dass die Spitzbögen die Lasten der Gewölbe ableiteten.
Herzog Johann wedelte mit der Hand in der Luft, als wolle er den Unwillen des Bischofs lästigen Fliegen gleich vertreiben. »Es gibt keinen richtigen und keinen falschen Ort für solche Gespräche, zudem ist es momentan schwer, Eurer habhaft zu werden.« Er fasste den Bischof am Arm und führte ihn ins Seitenschiff, hinter einen Strebepfeiler.
Julien folgte den beiden, blieb aber wenige Schritte entfernt stehen, darum bemüht, möglichst unbeteiligt zu wirken, ganz so, als sei er vom Fortschritt der Bauarbeiten vollends eingenommen.Er hob den Kopf. Das Gewölbe. Auch wenn er es schon unzählige Male betrachtet hatte, ergriff ihn der Anblick immer wieder. Der Bischof hatte beim letzten Besuch der Baustelle ausdrücklich darauf verwiesen, dass statt auf den häufig verwendeten Granit auf einen weißen, leichteren Stein zurückgegriffen wurde. Dieser ermöglichte es, das Gewölbe höher zu bauen als das der Kathedrale Notre-Dame de Paris. Julien schüttelte den Kopf. Höher, weiter, heller. Selbst hier, auf geweihtem Boden galt inzwischen das Prinzip der Maßlosigkeit.
»Wir haben die Voruntersuchungen abgeschlossen«, hörte er den Bischof sagen. »Mit dem Angriff auf den Pfarrer von Saint Mourelles hat uns der Baron einen wunderbaren Aufhänger für die Anklage in die Hände gespielt.« Verärgert blickte der Bischof an seiner schwarz glänzenden Seidensoutane hinunter, die er bei warmem Wetter zu tragen pflegte und deren Saum vom Baustaub ergraut war. »Er hat den Bogen schlichtweg überspannt. Die Bevölkerung ist empört. Nicht nur in Saint Mourelles, selbst in Nantes spricht man davon, dass sich der Baron an einem Geistlichen vergriffen hat.«
Der Herzog nickte eifrig, wobei die Speckfalten unterhalb seines Kinns in Schwingungen gerieten und heftig hin und her wogten. »Ich weiß, und ich habe das Gefühl, er weiß das auch. Er hat mich nach dem Erhalt Eurer Klageschrift aufgesucht. Stellt Euch vor, Baron de Troyenne ist bei mir erschienen.«
Neugierig hob Julien den Kopf und trat näher, um
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