Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
aufzunehmen.«
»Ob da jemand erscheinen wird?«
Den Arm in die Seite gestemmt, drehte sich Blanche zu ihm um und sah ihn streng an. »Du scheinst einer der wenigen zu sein, die noch zweifeln. Dabei bist du doch immer derjenige im Dorf, der weitsichtig und schlau ist. Die Nähe zum Baron bekommt dir nicht, mein Lieber, lass dir das gesagt sein.«
»Vielleicht bin ich auch einer der wenigen, die sich nicht auf vorschnelle Urteile einlassen«, erwiderte Mathis gereizt.
»Die Spange, die Teufelsbeschwörung und diese Sache mit den Hufspuren«, zählte Blanche auf, wobei sie zu jeder Nennung jeweils einen Finger in die Luft reckte. »Ich glaube nicht, dass es sich dabei um vorschnelle Urteile handelt.«
»Was ist mit den Hufspuren?«
»Hat es Catheline dir nicht erzählt? Oder Marie? Vielleicht auch Yann?«
Mathis schüttelte den Kopf und kam sich mit einem Mal seltsam ausgeschlossen vor.
»Yann war letzthin am Schloss. Niemand hat dort Pferde verkauft. Und du erinnerst dich doch an die Hufspuren bei GabinsLeiche, die Yann eindeutig erkannt hat. Die Pferde stammten vom Schloss, und niemand wird behaupten können, dass dies nicht der Fall ist.« Zufrieden wandte sich Blanche wieder dem Kessel zu und warf in Würfel geschnittenes Fleisch hinein.
Was ist, wenn ich wirklich falschliege? Wenn ich mich blenden lasse, weil ich mich geschmeichelt fühle? Unruhig richtete sich Mathis auf und drängte den Gedanken beiseite. Er öffnete seine Umhängetasche und nahm die Holzfigur heraus, die Catheline ihm in die Hand gedrückt hatte. Deshalb war er schließlich hier.
»Das soll ich dir geben, Blanche. Catheline hat sie in der Höhle gefunden. Sie meinte, das hat Avel geschnitzt. Das bist wohl du.«
Erschrocken sah Blanche auf und warf den Löffel in eine geböttcherte Schale auf dem Tisch. Mit der Geschwindigkeit eines Greifvogels, der seine Beute packt, riss sie Mathis die Figur aus der Hand. Ihre Finger strichen über das weiche Holz, und ihr Mund formte lautlose Worte. Sie taumelte einige Schritte rückwärts, dann zerrte sie den Vorhang beiseite und setzte sich auf Cathelines Lager. Mit gebeugtem Rücken schaukelte sie vor und zurück. Von einem Weinkrampf geschüttelt, der nahezu so tonlos war wie ihre Worte zuvor.
Mathis, der nicht wusste, was er tun sollte, reichte ihr ein herumliegendes Leintuch, ergriff den Löffel, trat an den Kessel und fuhr fort, das Fleisch umzurühren.
Julien gähnte und schob das vor ihm liegende Papier, das für den Bischof eigens aus Nürnberg geliefert wurde, zu einem Stapel zusammen und stellte dann das Fässchen mit der Dornentinte von der rechten auf die linke Seite des Tisches.
Leider hatte der Schreiber des weltlichen Gerichts ihn nicht nach Saint Mourelles begleiten können und nur darauf verwiesen, dass er die Aussagen auch noch zu einem späteren Zeitpunkt aufnehmen könne, wenn sie denn erst einmal vor ihm, Julien Lacante, gemacht worden waren. Es war also doppelt wichtig, diese Aussagen zu erhalten. So präzise und zahlreiche Aussagen wie möglich. Erneut zog er den Ring vom Finger, stellte ihn auf die Tischplatte, gab ihm einen Schubs und sah zu, wie er sich drehte, bis er ins Schwanken geriet und leise klirrend umfiel. Ob es besser war, die Beteiligten aufzusuchen? Vielleicht würde es einfacher sein, die Zeugen in ihrem vertrauten Umfeld zum Reden zu bringen? Seine Augen brannten vor Müdigkeit, selbst der Alte war nicht zugegen, hatte sich zum Gebet in die Kirche zurückgezogen.
Er schnaufte und sah unwirsch zur Tür, als die nahezu zahnlose Frau eintrat, die anscheinend die Aufgaben der verschwundenen Haushälterin übernommen hatte.
»Entschuldigt, Magister Lacante, wenn ich störe. Darf ich mit Euch sprechen?«
Irritiert setzte Julien sich aufrecht und schob den Ring wieder auf seinen Finger. Er hatte mit Schmalzbroten, aber nicht mit der Bitte um ein Gespräch gerechnet.
»Ich würde gern eine Aussage machen.«
Sofort ergriff Julien die Feder, zog ein Blatt Papier vom Stapel. Die Frau faltete die Hände und sah ihn abwartend an. Julien wies hastig auf den Schemel, der vor dem Tisch stand.
»Mein Name ist Blanche Boudet«, sagte sie, während sie sich setzte und auf seine Feder zeigte, als wolle sie ihn auffordern, mitzuschreiben. »Ich habe ihn gesehen, im Wald. Das wollt Ihr doch hören, oder?«
Julien spürte einen Knoten im Hals und räusperte sich. »Wenhabt Ihr gesehen?« Er musterte die Frau gründlich, doch ihr Blick hielt seinem stand, blieb offen
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