Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
in der Früh zum Fluss hinabzulaufen, dachte sie, während die Wut auf sich selbst sie bis in die Fingerspitzen wärmte.
Als das erste Morgenlicht in die Höhle sickerte, streckte Catheline die steifen Glieder. Der Durst hatte sie nicht schlafen lassen, und sie hatte auch keinen Grund gesehen, sich zur Ruhe zu zwingen. Ein langer Tag lag vor ihr, ohne jede Aufgabe, den sie verschlafen konnte. Wenn denn ihr Durst gelöscht war.
Im Tageslicht bestätigte sich ihre Annahme: Der Krug hatte den Sturz bis auf eine kleine Bruchstelle unbeschadet überstanden. Sie packte ihn und zwängte sich durch den schmalen Eingang, um dann, an die Felswand gepresst, abzuwarten. Mit ihrem Blick die Umgebung zu sichern und auf die inzwischen vertrauten Geräusche zu horchen. Geduckt lief sie los, wobei sie die Schatten der Felsen, vereinzelter Büsche und der Bäume nutzte. Zwischen ihnen hin und her wechselte, bis sie den Fluss erreichte. Sie kniete sich in die schlammige Uferböschung, tauchte die Arme ins Wasser, genoss einen Wimpernschlag lang die Kälte und hob dann die Hände, zur Muschel geformt, zum Gesicht. Trank das Wasser so gierig, wie sie es bisher nur beim Vieh beobachtet hatte, das nach einem heißen Sommertag zum Bach getrieben wurde. Immer wieder schöpfte sie nach und spürte, dass ihre Zunge auf Normalgröße zurückschrumpfte.
Erneut blickte sie sich um, dann senkte sie den Krug in den Fluss. Für einen Moment war sie versucht, den Kittel abzulegen. Was für ein Gedanke: ein Bad zu nehmen! Den Schmutz und Schweiß abzuwaschen. Ins kühle Nass zu gleiten. Schatten von Fischen zu jagen und sich vom Sonnenlicht, das sich auf der Wasseroberfläche brach, blenden zu lassen. Die Wärme der Sonne zu fühlen, die letzte Tropfen auf ihrem Rücken trocknen würde, während sie im Gras lag.
Sein Blick traf ihren.
Reglos stand er da, am anderen Ufer, ihr direkt gegenüber. Zu Pferde, das, wie der Reiter selbst, keinen Laut von sich gab. Dann zerrte er an den Zügeln, drängte das Tier in den Fluss. Das Aufspritzen des Wassers zerriss die Stille.
Cathelines Puls raste, der Wasserkrug entglitt ihr, als sie im Schlamm der Uferböschung den Halt verlor und stürzte, sich auf allen vieren voranzog, bis sie wieder Halt unter ihren Füßen fand. Sie rannte, so schnell sie konnte. Schlug einem Hasen gleich Haken, duckte sich, sah sich um, rannte weiter, drängte ins Unterholz, hörte ihren Atem rasseln, spürte Äste, die ihr entgegenschlugen, am Kittel rissen, auf ihrer Haut Kratzer hinterließen, zwängte sich an Felsen vorbei, um dann in einer Erdmulde, die von Blattwerk verdeckt war, liegen zu bleiben. Sie schloss die Augen, hielt den Atem an und harrte aus, ob der Berittene sie finden würde.
Schloss Nantes, oberer Saal
N och immer trug Amédé sein Haupt erhoben und schritt gemessen den Gang hinunter, sah fast jedem, der sich eingefunden hatte, herausfordernd ins Gesicht. Für einen Momentüberlegte Bérénice, gleich an diesem Abend eine Näherin in Nantes aufzusuchen, um sich einen dichteren Schleier an ihrem Hennin befestigen zu lassen. Einen Schleier, der sie von der Außenwelt trennte, ihr einen Rückzug bot, um all die aufdringlichen Blicke, die sie, die Frau des Angeklagten, musterten, von sich fernzuhalten.
Amédé nickte derweil Bischof du Clergue und Pater Blouyn, dem Vertreter der Inquisition, zu, die bereits Platz genommen hatten.
Bérénice zog die Schultern in die Höhe. Wer war heute anwesend? Wer würde an der Fortsetzung dieses jämmerlichen Schauspiels teilnehmen? Sich weiden, erfreuen oder wie Francine, die abermals stocksteif neben ihr saß, darunter leiden?
Der Hauptmann. Der Hauptmann hatte im Saal Platz genommen. Wie kann das sein?, durchfuhr es sie. Die Anwesenden mussten, auch wenn dieser Prozess öffentlich war, geladen werden. Was machte dieser Widerling hier? Deutlich hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass er für die Sicherheit des Schlosses zuständig war. Eine Aufgabe, die er nicht nach Gutdünken schleifen lassen konnte. Mit seinen Männern war er nach ihrer Abreise mehrfach durch Saint Mourelles gezogen. Gemeinsam hatten die Dreckskerle Männer und Frauen bedroht, damit niemand von ihnen es wagte, nach Nantes zu reisen. Julien hatte Bérénice davon berichtet und sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass Amédé auch für die Taten seiner Gardisten zur Verantwortung gezogen werden sollte. Inzwischen hatte man Wachen aus der Garde des Herzogs abkommandiert, die nun dafür Sorge trugen, dass
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