Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
»Die Kirschen sind dieses Jahr früh reif«, sagte er und legte den Kopf schräg. »Ich weiß nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist. Wie auch immer, sie schmecken, und mehr kann ich nicht für dich tun.«
Catheline trat einen Schritt vor und sah auf die runden Früchte, deren satte Farbe eine Augenweide in den stumpfen, dunklen Tönen der Unterwelt war. »Was meint Ihr damit, mehr könnt Ihr nicht für mich tun?«
Der Wärter verriegelte die Tür gewissenhaft und sah dann durch die Streben. »Hat dir niemand Bescheid gesagt?«
Catheline schüttelte den Kopf.
Er seufzte. »Ach, Mädchen, wir haben selten so hübschen Besuch wie dich hier. Schade, ich wäre dir lieber außerhalb des Kerkers begegnet.«
»Wovon redet Ihr?« Cathelines Stimme klang schriller, als sie es wollte.
»Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, aber hier untenkann freilich niemand ihre Lieder vernehmen. Der Baron, es ist ein Hin und Her mit ihm. Heute so, morgen so. Pater Blouyn hat genug davon, und er hat für morgen früh die Folter angesetzt.« Er nickte, als wolle er seine eigenen Worte bestätigen. Catheline sah das Mitleid in seinen Augen. »Also, iss die Kirschen. Vielleicht sind es die letzten. Der Scharfrichter ist gut, je nachdem, wie man es betrachtet. Und er nimmt sich immer gern zuerst die Frauen vor. Hat er halt seltener hier. Und meist bleibt, auch wenn sie überleben, nicht viel übrig von ihnen.«
Catheline stützte sich an der Wand ab.
Hastig sah sich der Wachmann um, dann nickte er in Richtung des Kruges. »Es soll immer Holz sein, aber sie haben schon wieder nicht darauf geachtet. Du hast einen irdenen Krug, wenn du ihn zerschlägst, hast du schöne Scherben, scharfkantige Scherben. Vielleicht hilft dir das.« Er schwieg, den Kopf wieder schräg gelegt. Dann hob er die Hand zum Abschiedsgruß. »Mach’s gut, Kleine. Möge Gott mir dir sein.«
Catheline sank auf die Knie, krümmte sich. Keine Träne wollte sich lösen, nur aus ihrer Kehle stieg ein Schrei, laut und kreischend. Sie umklammerte den Krug, schnappte nach Luft, schrie weiter, schrie ihre Angst durch die Unterwelt des Schlosses. Dieses Mal ertönte keine Antwort der Männer, die in diesem Vorhof der Hölle mit ihr einsaßen. Ihre Schreie brachen sich an den Wänden und hallten einsam durch die Gänge.
Francine gab sich nicht die Mühe, leise ins Gemach zurückzukehren. Vielmehr warf sie die Tür auf und stürmte herein, würdigte Bérénice keines Blickes und öffnete ihre Reisekiste. Warf ihre Kleidung hinein, achtlos wurden zwei Hennin in die Wäsche gedrückt, der Schmuck darübergekippt.
»Was hast du vor?«, fragte Bérénice, die auf der Schlafstatt hockte und die Beine umschlungen hielt.
Der Kopf der Schwester fuhr herum, erst jetzt sah Bérénice, dass Francine weinte. Ihre Nase glänzte vom Schnäuzen, die Lippen waren gerötet und wund. »Ich fahre nach Hause. Nach Troyenne. Das ist mein Zuhause, das lasse ich mir nicht nehmen. Ich werde auf Amédé warten, und solltest du jemals dort wieder auftauchen, bringe ich dich eigenhändig um.«
Es kam selten vor, das musste Bérénice zugeben, dass es ihr die Sprache verschlug, aber die Worte der Schwester waren satt von Hass. Das Gesicht zur Fratze verzerrt, starrte sie zu ihr herüber. Francine schien die Bestürzung der Schwester nicht wahrzunehmen, mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen ab, zog den Rotz geräuschvoll hoch und fuhr fort: »Ich habe meinen Schwager verteidigt. Ich habe das getan, was du hättest tun müssen. Du bist sein Weib, nicht ich.«
»Was hast du getan?«, fiel Bérénice ihr ins Wort, doch Francine ignorierte die Frage.
»Selbst wenn er mit den Taten zu tun hat, na und – ein Bauernkind mehr oder weniger. Er ist ein Mann aus einem Adelsgeschlecht, und es ist unsere Familienpflicht, ihm beizustehen. Es ist ein Akt der Liebe, auf den du dich anscheinend nicht verstehst.«
»Was hast du getan?«, schrie Bérénice, und nun sah Francine sie an.
»Ich habe Hauptmann Bouchet per Eilboten eine Nachricht schicken lassen und ihm mitgeteilt, dass er dafür sorgen soll, dass man keine belastenden Spuren findet.«
»Was glaubst du, wer du bist? Amédé wird morgen der Folter unterzogen, dann wird er ohnehin alles gestehen. Unser Leben, das wir hatten, existiert nicht mehr! Sieh der Wahrheit ins Auge!«
»Der Kampf ist noch nicht verloren. Der Scharfrichter wird sich zuerst dieses Weib vornehmen, dafür habe ich mit einem Beutel voller Münzen bereits
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