Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
schabten laut über den Holzboden, als Catheline die Tischkante packte und sich in die Höhe zog. Sie ergriff den Eimer, öffnete die Tür, und schon nach diesen wenigen Schritten musste sie erneut innehalten. Die Augen schließen, die sanfte Wärme der Sonne spüren und den Geruch der aufgetauten Erde einsaugen, in die sich bereits der zarte Duft erster Blüten zu mischen schien.
Ein Wiehern. Ein Schnauben. Scharrende Hufe.
Catheline öffnete die Augen und sah nach rechts. Yanns Pferd stand dort, der Leib des Tieres dampfte im Gegenlicht. Erleichterung machte sich in ihr breit: Offensichtlich war Mathis zurückgekommen.
Sofort stellte sie den Eimer ab. Ihr Herz, das den ganzen Tag vor sich hin gebummelt war, trommelte nun hastig. Eilig schlich sie auf Zehenspitzen zur Tür der Studierstube des Pfarrers und beugte sich vor. Lauschte, aber alles war still. Sie lugte durch das Astloch. Kein Mathis. Sie huschte weiter, zur Tür des Schlafgemachs des Pfarrers und öffnete sie. Die Fensterläden, die sie am Morgen geöffnet hatte, standen nach wie vor offen. Und endlich vernahm sie den tiefen Klang der Stimme, die zu hören sie erhofft hatte.
Die beiden Männer standen im Garten.
Catheline duckte sich neben die Bettstatt des Pfarrers. Die Decke musste ausgeschüttelt, das Laken glatt gezogen und die Waschschüssel geleert werden. Gute Gründe, sich hier und jetzt im Schlafgemach aufzuhalten, versuchte sie sich zu rechtfertigen,um ihre innere Unruhe zu unterdrücken. Sie schob sich auf die Bettkante, legte den Kopf schräg und lauschte.
»Wer hat dir das erzählt?«, hörte sie Vater Jeunet fragen.
»Der Stallmeister. Vielleicht könnt Ihr Euch an ihn erinnern, ein ruhiger Mann, der aus Nantes stammt und lange im Schloss tätig war. Er war hin und wieder auf den Dorffesten zugegen, beim letzten Maitanz war er dabei. Er erinnerte sich an mich, selbst er hat inzwischen Geschichten vom Überfall durch die Söldner vernommen. Er wusste alles und vieles mehr, das so nie stattgefunden hat.«
»Das glaube ich gern, dass die Geschichten, die von diesem Überfall erzählt werden, inzwischen mit allerlei Beiwerk ausgeschmückt worden sind. In einigen Jahren wird dein Eingreifen von Morgana befohlen worden sein, und du kamst auf einem geflügelten Pferd daher.« Das Lächeln war aus Vater Jeunets Stimme herauszuhören. »Aber nun sag mir: Wie heißt die Magd, die vermisst wird?«
Cathelines Hand griff ins Laken, und sie vergaß das Atmen. Eine vermisste Magd. Nicht schon wieder!
»Das ist ja das Schlimme. Sie ist nicht einmal vermisst worden, bis ich nachfragte. Ein Mädchen noch, namens Soazig. Als einer der Tagelöhner, ein Jungspund, mit ihr anbandelte, gingen alle davon aus, dass sie die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und sich mit ihm davongemacht hat. Sie war ein wenig frühreif, erklärte man mir.«
»Und woher weißt du, dass sie eben dies nicht getan hat?«
»Wir sind zu den Steinbrüchen im Wald von Theil geritten. Es war ein mühseliger Ritt durch Schneereste und aufgeweichte Erde, vorbei an den Sümpfen. Aber dort, im Schiefersteinbruch, trafen wir den Tagelöhner an. Wenn die Mär gestimmt hätte, wäre auch er weg gewesen. Aber er war noch da. Er hat den ganzen Winter dort zugebracht, in einer derart armseligenHütte, dass es mich jetzt noch schaudert. Wir, der Stallmeister und ich, haben ihn zur Rede gestellt, und er wusste wahrlich nichts. Er hat Soazig am Schloss Port-Saint-Luc kennengelernt, als er im Herbst für einige Tage beim Neubau der Stallungen aushalf. Sie hat für ihn geschwärmt, doch sie war ihm zu jung und auch ein wenig zu derb, wie er sagte.«
Die beiden Männer schwiegen.
Wassertropfen glänzten auf dem hölzernen Boden. Vater Jeunet hatte bei seiner morgendlichen Wäsche wieder einen Großteil des Wassers verschüttet.
Noch eine, die nicht mehr unter uns weilt.
Vor dem Bett lagen kleine Erdklümpchen. Als feuchter Matsch blieb die Erde, seit der Schnee sie der Sonne wieder preisgegeben hatte, an den Schuhen hängen und verteilte sich im ganzen Haus. Es wurde Zeit, sie zusammenzufegen.
Menschen verschwinden. Erst bei uns in der Umgebung, dann in Port-Saint-Luc. Das kann kein Zufall sein.
»Der Stallmeister«, unterbrach Mathis’ Stimme Cathelines Gedanken, »äußerte sich deutlich. Die Männer der Garde sind – Gott bewahre, nicht alle, aber doch die meisten von ihnen – grobe Gesellen. Der Hauptmann allerdings ist der schlimmste. Der Stallmeister meinte, dass er ihm alles
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