Sehnsucht FC Bayern
renovierte Spielstätte auf sporthistorisch bedeutsamem Grund war mehr als nur Ersatz. Da musste ich hin und nahm Antje mit der Aussicht auf kulturelles Zusatzprogramm gleich mit. Ich liebe den Besuch von Bayern-Spielen in den nicht mehr ganz so neuen Bundesländern. Das bietet, wie auch die Reisen im Europacup, ansatzweise noch den Hauch des Unbekannten. Zumindest in entlegenen Gegenden. Immerhin sechzehnmal führte mich die Reiseplanung des FC Bayern bisher auf das Terrain der ehemaligen DDR.
Der Trip nach Dessau war auch deshalb reizvoll, weil für den nächsten Tag, einen Sonntag, noch ein Freundschaftsspiel in Wittenberg-Piesteritz angesetzt wurde. Zwei Bayern-Spiele in neuen Stadien binnen 24 Stunden – das galt es auszunutzen, zumal ich mir als nicht gänzlich ungläubiger Christ evangelischer Konfession die Lutherstadt Wittenberg nicht entgehen lassen wollte. Vor Ort nahmen wir mangels Alternativen ein Hotel mittlerer Preiskategorie. Dass uns die Dame an der Rezeption bei Nennung unserer Heimatadresse »München« verschwörerisch anschaute, blieb uns nicht verborgen. Was wir nicht ahnten: Es war das Mannschaftshotel des FC Bayern für die kommende Nacht! Das verschaffte der Wochenendreise eine feine, zusätzliche Nuance.
Sichtlich genervt, nach dem 6:0-Erfolg über die Amateure im Pokal nicht direkt die Rückreise nach München antreten zu dürfen, bezogen die Profis ihre Einzelzimmer und waren kaum noch zu sehen. Wenn sie sich doch mal kurz in der Lobby blicken ließen, simulierten sie zur Abwehr ungestümer Autogrammjäger ein Gespräch auf dem Handy. Der alte Trick! Und auf dem gleichen Flur wie Bayern-Profis zu schlafen, bringt einen als Fan auch nicht wirklich weiter – eher im Gegenteil: Vor dem Hotel wachte Security äußerst penibel darüber, wer rein und raus durfte, während die ganze Nacht ein Polizeimotorrad regelmäßig über den Hof des Hotels Streife fuhr. Und beim Frühstück war der Großteil der Servicekräfte für den separaten Speiseraum der Profis abgestellt. Im Grunde genommen nur Ärger. Aber drollig war es als Fan natürlich trotzdem.
Pünktlich zum Auszug des Fußballs aus dem Olympiastadion, im Mai 2005, erschien mein Buch »Olympiastadion München – Fußballgeschichte unter dem Zeltdach«. Die Kritiken fielen nicht euphorisch, aber durchweg positiv aus. Mit Ausnahme der Süddeutschen Zeitung fand ich mich in allen Zeitungen wieder, gab für einen lokalen Fernsehsender und das ZDF ein Interview im leeren Stadion und hatte das befriedigende Gefühl, meinen Teil dazu beigetragen zu haben, diesem fantastischen Stadion ein kleines Denkmal zu setzen. Man kann auch dem FC Bayern wirklich nicht nachsagen, dass er den Abschied vom Oberwiesenfeld nicht würdig begangen hätte. Eine Serie im Bayern-Magazin mit den Fußball-Höhepunkten in diesem Stadion gehörte ebenso dazu wie eine eigens für die Olympiapark GmbH als Dankeschön produzierte DVD. Der Verein wusste und weiß bis heute, was er an dem Olympiastadion hatte.
Als am letzten Spieltag mit einem deutlichen 6:3-Erfolg über den 1. FC Nürnberg die Bundesligasaison abgepfiffen wurde, war dies mit dem Gewinn der 19. Deutschen Meisterschaft das angemessene Ende einer 33-jährigen Erfolgsstory. Neben der Meisterschale rankte sich das ganze Beiprogramm des Nachmittags um das Ende dieser Ära. Kurz zuvor war ich beim letzten Spiel von 1860 München ebenfalls im Stadion gewesen. Wie die Blauen ihren letzten Auftritt dort begingen, war einfach nur peinlich. Wenn nach deren Selbstverständnis ihre Heimat auf Giesings Höhen liegt, so lasse ich diese Heimat über all die Jahrzehnte nicht sehenden Auges dermaßen verrotten. Anspruch und Wirklichkeit eines Traditionsvereins klaffen hier einmal mehr weit auseinander. Immer nur pseudo-entschuldigend auf leere Vereinskassen zu verweisen ist – nomen est omen – ein Armutszeugnis.
Bis heute halten sich die TSV-Fußballer für heimatlos. Sich in den beiden Großstadien der Stadt nicht wohlzufühlen und gleichzeitig nicht mehr in die ursprüngliche Heimat zurückzukönnen, spiegelt etwas die Situation des FC Bayern in seinen ersten 30 Jahren Vereinsgeschichte wider. Aber macht es Sinn, sein Traditionsverständnis auf ein einzelnes Stadion zu konzentrieren? Als der TSV 1860 in der Zweitligasaison 2004/05 für einige Spiele ins »Grünwalder« zurück zog, wirkte der ansonsten kreative Slogan »Münchens große Liebe« angesichts der schwachen Zuschauerresonanz doch arg bemüht. Mir ist
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