Sehnsucht FC Bayern
Bekloppte« neigt er zum Größenwahn. Vier Siege des 1. FC Köln in Folge, und man kann am Montag garantiert von UEFA-Cup-Ambitionen im Geißbockheim lesen. Ich wette, dass sich Christoph Daum bereits zu Zweitligazeiten eine Prämie für den Gewinn der Deutschen Meisterschaft vertraglich hat zusichern lassen. Dieser Köln-typische Größenwahn mündet in dem vor allem musikalisch untermauerten Anspruch, in der schönsten Stadt der Welt zu wohnen. Das behauptet der Münchner von sich natürlich auch. Dazu muss man nur mal eine Zeitlang die Klatschseiten der Münchner Boulevardzeitungen lesen. Der wesentliche Unterschied ist nur der: Münchner glauben tatsächlich daran!
Bei einem dieser Heimatbesuche kam es zu einem Treffen mit Dietrich Schulze-Marmeling, einem renommierten Fußballhistoriker. Mit ihm hatte ich in der Saison 1996/97 bereits Kontakt gehabt, als er an einem Buch über den FC Bayern arbeitete. Sein Sohn ist Bayern-Mitglied und bekam demzufolge auch das Bayern-Magazin. So verfolgte Dietrich seit geraumer Zeit mein Engagement für den FC Bayern. Wir hatten uns nach vielen Jahren in einem Café gleich neben dem Dom verabredet. Sein Verlag plante, ein Buch über das Olympiastadion herauszugeben. Angesichts des dort bevorstehenden Abschieds vom Fußball sollte es eine Hommage an eines der geschichtsträchtigsten Stadien Deutschlands werden. Mit ihm und einem weiteren Co-Autor an meiner Seite sollte das Projekt gemeinsam gestemmt werden. Das Konzept überzeugte mich, und ich sagte spontan zu.
Das Olympiastadion war für mich mehr als nur die Stätte regelmäßiger Heimspielbesuche, sondern verkörperte gerade wegen seiner Distanz zu meinen bisherigen Wohnorten auch etwas Sehnsuchtsvolles. In dieser Hinsicht konnte ich die 60-Fans und ihre Haltung zum »Grünwalder Stadion« nachvollziehen. Warum sollte es uns Bayern-Fans, die mit dem Olympiastadion groß geworden waren und dort eine fast unüberschaubare Zahl von Triumphen erlebten, da anders ergehen? Der FC Bayern nahm mein neues Projekt nicht nur wohlwollend zur Kenntnis, sondern half, wo er nur konnte. Ich erhielt den Kontakt zu den gewünschten Ansprechpartnern, und Uli Hoeneß schrieb ein umfangreiches Vorwort. Das war praktizierte Traditionspflege! Von wegen kein Traditionsverein. Übrigens ganz im Gegensatz zu offiziellen Stellen von 1860 München, die mir mit Ignoranz begegneten und in dieser Zeit offenbar mal wieder hausgemachte Probleme zu lösen hatten. Bei 344 im Olympiastadion ausgetragenen TSV-Heimspielen hatte ich für diese Haltung kein Verständnis und fühlte mich in der Einschätzung bestärkt, dass das Geschichtsbewusstsein des TSV 1860 primär nur die erfolgreichen Jahre 1920-33 und 1945-66 umfasst.
Die nachfolgenden Monate wurde ich zum ständigen Gast in Münchner Archiven und vor allem bei der Olympiapark GmbH, die großen Gefallen an dem Buch fand. Indem ich mit Mitarbeitern des Stadions in die hintersten Winkel, unterirdische Versorgungsgänge und ehemalige Lagerräume kroch, lernte ich dieses Bauwerk von seiner ganzen geheimnisvollen Funktionalität kennen. Besessen wie ich war, wollte ich es ganz genau wissen. Wenn ich verstaubt aus einem verlassenen Lagerraum herauskam, musste man unweigerlich das Gefühl bekommen, es mit einem Verrückten zu tun zu haben. Und mit dieser Einschätzung lag man wahrscheinlich gar nicht mal so verkehrt. Unvergessen, wie ich mit dem Platzwart in seinem Büro verabredet war und wir mit meinem Auto an einem spielfreien Tag quer über den Coubertin-Platz durch das Marathon-Tor bis in das Stadion hineinfuhren und auf sein Geheiß erst auf der Tartanbahn parkten. Vor lauter Ehrfurcht agierte ich fast wie ein Führerscheinneuling. Ein merkwürdiges Empfinden, im eigenen Auto plötzlich im Stadioninnenraum zu stehen. Weitere Höhepunkte waren die Gespräche mit besonderen Zeitzeugen. Die Mischung hätte kaum bunter sein können und reichte allein auf Seiten des TSV 1860 vom Hardcore-Groundhopper bis zu einem fünfstündigen Hinterzimmergespräch mit Ex-Präsident Karl-Heinz Wildmoser in dessen »Gasthof Hinterbrühl« in München. Auf Seiten des FC Bayern war es nicht anders. Hans Schiefele, langjähriger FCB-Vizepräsident und Inhaber der Mitgliedsnummer 1 (!) verpasste mir in seinem Wohnzimmer exklusiven Nachhilfeunterricht zur Sportgeschichte der Stadt, bis er als damals 85-Jähriger nach über vier Stunden erschöpft und sichtlich zufrieden den Abend beendete. Zehn Monate später ist Hans Schiefele
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