Sehnsucht FC Bayern
rätselhaft, wie sich das Klischee hält, dass 1860 München unter den gebürtigen Münchnern die größeren Sympathien genießt. Was soll das für ein Qualitätsmerkmal sein? Es spricht nichts, aber auch gar nichts dafür und zielt genau auf die Zugereisten, wie ich einer war. Nebenbei bemerkt grenzt es den 70-jährigen Bayern-Fan, der seit 50 Jahren in der Stadt lebt, ebenso aus wie die Löwen-Fans aus Augsburg oder Ingolstadt. Sich an leeren Mythen zu orientieren, will gelernt sein: Man muss nur ganz fest daran glauben.
Mit Antje hatte es mittlerweile eine lange Aussprache gegeben. Sie wollte zurück nach Köln. Das Heimweh! Ein Schritt, der mich nach fast 13 Jahren vor die Wahl stellte, diese Beziehung in Köln fortzuführen oder in München alleine einen Neuanfang zu suchen. Eine schwierige Entscheidung. Auch in einer eingespielten Partnerschaft entwickeln sich Menschen über einen so langen Zeitraum nicht immer in die gleiche Richtung. Antjes unumstößlichen Wunsch, in die Heimat und Geburtsstadt am Rhein zurückzukehren, nahmen wir beide als schicksalhaftes Zeichen für eine einvernehmliche Trennung. Wir hatten versucht, uns in München privat und beruflich einzuleben. Mit unterschiedlichem Erfolg. Vor dreieinhalb Jahren hatte ich, ausgelöst durch Antje, im Rheinland alles hinter mir gelassen: den Job, die Wohnung, das Mandat als Kommunalpolitiker und den Fanclub. Ich mochte nach so kurzer Zeit kein reumütiges Comeback. Nachdem sie in Köln Wohnung und Job gefunden hatte, stand ihr Abschied für August fest.
Das alles war mir zumindest an jenem 14. Mai 2005 ziemlich egal. Was ich an diesem Nachmittag im Stadion tat, geschah in dem Bewusstsein, es dort nie mehr wieder zu tun, jedenfalls nicht in Verbindung mit dem FC Bayern. Mir war, als würde ich aus einer Wohnung ausziehen. Damit hatte ich ja schon genügend persönliche Erfahrungen gesammelt. Natürlich bestand so etwas wie neugierige Vorfreude auf die Allianz-Arena. Und es war in jeder Hinsicht eine zweifellos gute Entscheidung. Aber dennoch schloss sich meine Stimmung diesem rationellen Denken nicht an. Nach der Übergabe der Meisterschale verzichtete ich auf die obligatorische Fahrt zum Marienplatz. Ich wollte einfach nur dasitzen und erleben, wie sich das weite Rund leerte.
Antje hatte mit dieser sentimentalen Gefühlsduselei nicht viel im Sinn und fuhr schon mal nach Hause. Ich saß immer noch da. Irgendwann war ich der Letzte in der Reihe, der Letzte in Block X und der Letzte auf der Haupttribüne. Es wurde immer stiller um mich herum. Ich ging in die Südkurve, dorthin, wo ich 1983 das erste Mal gestanden hatte. Ich erinnerte mich an mein erstes Heimspiel 1982, dem sich weitere 133 Spiele im Olympiastadion anschlossen. Mehr würden es nicht mehr werden. So viel stand fest. Ungezählte Nachtfahrten zurück nach Köln waren sinnbildlich für die Strapazen, die ich einst auf mich nahm, um eine persönliche Sehnsucht zu stillen.
In der Südkurve traf ich auf zwei gleichgesinnte Nostalgiker. Wie drei Spätpubertierende hockten wir wie früher auf den Stangen im Stehplatzbereich und erzählten uns Geschichten. Niemand störte sich an uns. Wir waren die allerletzten Besucher. Es wurde ein längerer Abend. Für mich markierte dieser Tag einen doppelten Abschied – privat und sportlich.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
2005/06
S CHÖNE NEUE A RENA -W ELT
Es begann eine neue Zeitrechnung. Ohne Lebensgefährtin tobte ich mich als Fan aus. Ich brauchte ja nun noch weniger Rücksicht zu nehmen. Andere Männer hätten sich in dieser Situation wahrscheinlich regelmäßig betrunken. Mich trieb es, zusammen mit der üblichen Clique, nach Kroatien und Polen, wo der FC Bayern in Zagreb und Warschau zwei äußerst interessante Freundschaftsspiele vereinbart hatte. Nicht dass wir auf derartigen Reisen abstinent blieben, aber es lenkte wunderbar – wenn auch nur kurzfristig – von meiner privaten Situation ab. Die bisherige Wohnung in München-Trudering war für mich alleine viel zu groß und teuer, so dass ich mir eine neue Bleibe suchen musste und diese auch im Stadtteil Ramersdorf fand. Eine Adresse in Harlaching, am besten noch in der Säbener Straße, wäre zugegebenermaßen deutlich cooler gewesen. Doch dort fand sich nichts.
Nicht nur ich zog um, auch der FC Bayern: vom Oberwiesenfeld nach Fröttmaning. Nach den Eröffnungsspielen wurde es nun endlich Zeit, die Allianz-Arena atmosphärisch im
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