Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Spaß machte. Wies Malu ihn darauf hin, so erwiderte er: »Ich habe meine Knochen fürs Vaterland und für das Gut hingehalten. Mein gutes Recht ist es, mich nun zu amüsieren.«
»Die Güter derer, die bei den Russen gekämpft haben, sollen enteignet werden«, erwiderte Malu. »Es hat bereits Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in Estland gegeben.« Sie beugte sich vor, um die Dringlichkeit ihrer Worte zu betonen.
Ruppert blies nur die Backen auf. »Was kümmert uns das? Estland ist weit.«
»Nun, mein Lieber, dieses Gesetz gilt auch für Lettland. Was wirst du tun?«
»Nichts!« Ruppert grinste. »Was gibt es da zu tun? Ich werde entscheiden, was richtig ist, wenn es an der Zeit ist.«
»Du könntest nach Sibirien verschleppt werden.«
»Das sind doch nur Gerüchte.« Ruppert kniff ein wenig die Augen zusammen. »Niemand weiß, ob das stimmt.«
Malu tippte mit dem Finger auf einen Zeitungsartikel, der vor ihr lag. »Es sind keine Gerüchte. Hier kannst du das neue Gesetz schwarz auf weiß nachlesen.«
Ruppert wischte mit der Hand die Zeitung vom Tisch und funkelte Malu so grimmig an, als hätte sie das Gesetz erlassen. »Wir bleiben!« Leiser fügte er hinzu: »Wo sollen wir denn sonst hin?«
Malu spürte, dass Ruppert große Angst hatte. Die Furcht war offenbar so stark, dass sie seine Entschlusskraft lähmte und er keine Entscheidung treffen konnte, um der Gefahr zu begegnen. Aber darauf konnte Malu jetzt keine Rücksicht nehmen. »Wenn du nicht handelst, verlieren wir alles, was wir besitzen. Du bist der Erbe. Du musst etwas tun.«
Aber Ruppert winkte nur ab. »Was weißt du schon, Malu? Du hockst hier in der Provinz, kommst kaum einmal raus, hast wenige Freunde. Ja, das ist es. Du bist nur von Miesmachern umgeben. Constanze, die ewig Jammernde. Janis. Kein Wunder, dass du langsam den Verstand verlierst. Aber sei beruhigt, ich habe alles im Griff.«
Malu biss sich auf die Unterlippe. »Du irrst dich, Ruppert. Ich lese Zeitung, sehr genau sogar. Ich höre auf das, was man sich erzählt. Bestimmt weiß ich besser über unser Leben hier Bescheid als du.«
Ruppert lächelte sie überheblich an. »Ach wirklich? Sprichst du mit deinem Kuhbauern im Bett darüber?«
»Lass Janis aus dem Spiel.« In Malu flackerte Wut auf. Sie schlug mit der Hand auf den Tisch und erwiderte mit erhobener Stimme: »Hör auf mich, oder lass es bleiben. Du bist der Erbe! Es ist dein Gut, das unter die Räder kommen wird. Hast du dich eigentlich mal gefragt, was du tun wirst, wenn du die Ländereien nicht mehr besitzt? Wirst du bei Janis um Anstellung bitten? Oder gehst du in die Stadt und wirst Eintänzer in einer Bar?«
Dann ließ sie Ruppert allein und spazierte gedankenversunken durch die Felder hinunter zum See. Sie setzte sich auf den kleinen Bootssteg, der ein Stück ins Wasser hineinführte. Malu schlang die Arme um die angezogenen Knie und legte ihren Kopf darauf. Nichts war entschieden, nichts war beschlossen, doch Malu fühlte sehr deutlich, dass etwas zu Ende ging. Und sie wusste nicht, ob sie traurig oder froh darüber sein sollte.
Mit einem Mal hörte sie hinter sich ein Geräusch. Vertraute Schritte. Kurz darauf ließ sich Janis neben ihr auf dem Steg nieder.
»Du siehst bekümmert aus.«
Malu nickte bloß. Sie hätte so gern ihren Kopf an seine Schulter gelegt, und sie wusste auch, dass er sie nicht wegstoßen würde. Doch seit er aus dem Krieg zurückgekehrt war, fühlte sich sein Körper kantig und steif an. Nie hatte er sie seither umarmt. Immer war sie es gewesen, die sich an ihn geschmiegt und ihn geküsst hatte. Er hatte ihre Küsse erwidert, aber Malu war es vorgekommen, als würde er damit nur eine Pflicht erfüllen. Er tat es, so schien es Malu, weil er es musste. Und auch jetzt fragte er nicht, was sie bekümmerte, sondern saß einfach nur neben ihr und schaute auf das Wasser, auf dem eine Seerose leise hin- und herschaukelte. Manchmal fragte sich Malu, ob auch er im Krieg gefallen war. Nicht sein Körper, aber wohl seine Seele. Sie wusste noch aus ihrer Zeit im Krankenhaus, dass es vielen Heimkehrern so ging, und sie wartete geduldig auf den Tag, an dem Janis wieder ganz der Alte sein würde.
»Stimmen die Gerüchte?«, fragte Malu. »Ist es wahr, dass Gutsbesitzer verhaftet, ihre Güter enteignet werden?«
Janis nickte. »Das ist gerecht so.«
»Gerecht?« Malu fuhr auf. »Gut Zehlendorf gehört uns seit Jahrhunderten. Und seit Jahrhunderten geben wir den Menschen hier Arbeit, Wohnung und
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