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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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Tauentzienstraße entlang, vorbei an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Sie wollte das berühmte KaDeWe sehen. Das Kaufhaus des Westens, das so prächtig sein sollte, dass man selbst in Riga davon sprach.
    Sie blieb vor dem Gebäude stehen, betrachtete die Fassade und das Marmorportal. Noch nie hatte ein Haus ihr eine ähnliche Ehrfurcht eingejagt. Fast schaffte sie es nicht, ihre Füße zu bewegen. Gut gekleidete Männer und Frauen trieben so beschwingt wie Sommervögel durch den Eingang, als gäbe es das Elend in anderen Teilen der Stadt nicht. Keine der Frauen trug noch die in Riga gebräuchlichen Krinolinkleider, und die wenigsten waren in Mieder gezwängt. Malu musterte die Kleidung der Kaufhausbesucher mit kritischen Augen.
    Schon bald konnte sie die Originale von den billigen Kopien unterscheiden und wusste, dass in den »weißen Wochen« preisreduzierte Weißwaren angeboten wurden. Aber es dauerte beinahe vierzehn Tage, bis Malu es wagte, das erste Mal ihren Fuß ins Innere des KaDeWe zu setzen.
    Kaum hatte sie die Eingangshalle betreten, blieb sie, geblendet von der Pracht, stehen. Links und rechts hasteten Kaufhauskunden an ihr vorbei, streiften sie mit Tüten und Paketen, doch Malu bemerkte sie nicht. Sie betrachtete die Treppe aus gelbem Holz, die prächtigen Schnitzereien des Geländers und vor allem das strahlende Licht des Kronleuchters, der nicht mit Kerzen bestückt war, sondern elektrisch funktionierte. Noch nie hatte sie ein so großes Warenhaus gesehen.
    Hundertzwanzig Geschäfte, das hatte Malu gelesen, waren hier untergebracht. Und das ganze Gebäude strahlte einen Reichtum und eine Schönheit aus, dass es Malu den Atem verschlug.
    Langsam stieg sie die Treppe empor und genoss jeden Schritt auf dem weichen Läufer. Schließlich stand sie vor einem riesigen Schild, auf dem die einzelnen Abteilungen mit den jeweiligen Stockwerken aufgeführt waren. Ihr Blick huschte über das Schild. Malu fiel es schwer zu glauben, dass es in diesem prächtigen Haus tatsächlich außer Abteilungen für Mode, Kurzwaren, Bekleidung, Weißwäsche, Putz, Lederwaren, Pelze, Kosmetik, Parfüm, Uhren und Schmuck einen Teesalon mit Musikkapelle gab, zwei Friseure, eine Wechselstube, eine Bankfiliale, eine Schusterei, zwei Änderungsschneidereien, eine Stickerei, eine Leihbibliothek und sogar ein Fotoatelier.
    »Hier sind ja mehr Geschäfte untergebracht als in der gesamten Rigaer Innenstadt«, staunte sie.
    Und wenn Malu in manchen Augenblicken daran gezweifelt hatte, mit ihrem Umzug nach Berlin das Richtige getan zu haben, so wusste sie jetzt, dass es richtig gewesen war, hierherzukommen.
    Eine junge Frau mit einem gerade geschnittenen Kleid, einer Pagenfrisur und einer Feder kam Malu entgegen und musterte sie kritisch.
    Da erst wurde Malu bewusst, wie provinziell sie doch aussah in ihrem selbst geschneiderten Kleid ohne Hut und Handschuhe, in den weißen gestrickten Strümpfen und mit den langen Haaren, die sie zu einem festen Knoten geschlungen hatte. Schon fühlte sie sich unzulänglich, diesmal aber auf eine weitaus angenehmere Art als im Baltikum. Dort war sie die gewesen, die irgendwie anders war, etwas anderes wollte als einen Ehemann und Kinder. Sie hatte nie die gleichen Kleider getragen wie die anderen Mädchen, aber jetzt erkannte sie, dass selbst ihre gewagtesten Modelle in Berlin nur bäuerlich wirkten. Das musste sich ändern!
    Fasziniert blickte Malu den eleganten Frauen hinterher. Dann presste sie ihre kleine Handtasche an sich und trat entschlossen auf die Ständer mit den Kleidern zu. Sie befühlte die Stoffe, las ihre Namen von den Schildchen ab und ließ sie sich auf der Zunge zergehen: Taft, Charmeuse, Crepe Georgette. Wie faszinierend es war, zu den Namen, die sie aus den Zeitschriften kannte, nun auch die Stoffe zu sehen und zu fühlen. So viel Auswahl hatte es in Riga nie gegeben!
    Sie befühlte den Besatz einiger Kleider aus französischen Kollektionen: Chiffon, Spitze oder Seidenfransen. Sie probierte Glockenhüte auf, steckte ihre Finger in feine Handschuhe, die bis weit über die Ellenbogen reichten. Sie ließ die Stoffe der leichten Straßenkleider durch ihre Finger gleiten, sog die Farben in sich auf: Lila, Grün oder Blau. Schwarze Atlasgürtel, die um schmale Taillen geschlungen waren, und Schärpen aus violetter Seidengaze. Italienische Strohhüte, Kappen, mit Goldfäden durchwirkt, pastellblaue Atlasrosetten.
    Am meisten aber war Malu von den Accessoires beeindruckt. Im Baltikum gab

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