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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona Capp
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Schlimmeres, egal welchen Alters das Kind ist. Ich spreche hier für Henry. Meine Hauptsorge gilt ihm. Aber was ich durchgemacht habe, möchte ich anderen Eltern nicht wünschen.«
    Dr. Leask starrt auf den Teppich zu seinen Füßen. Sein Mund ist geöffnet, doch er scheint zu überwältigt zu sein, um sprechen zu können. Plötzlich wirkt er alt und hilflos. Jemma fühlt sich an die Nacht erinnert, bevor ihr Vater starb, als sie ihn in seinem Nachthemd umherlaufen sah, die Hand an seine Brust gepresst.
    »Das mit Ihrem Kind tut mir leid. Es war vermessen von mir«, sagt Dr. Leask schließlich. »Aber wissen Sie, wie das ist, Mrs. Wright, wenn Sie einen Patienten nach dem anderen an Schwindsucht sterben sehen und dann zusehen müssen, wie Ihre eigene liebe Frau dahinsiecht, und nicht helfen können?«
    »Aber es gibt etwas, das Sie tun können.«
    »Ich liebte meine Frau, doch es hat ihr nicht geholfen!«
    Jemma erwidert nichts darauf. Wozu auch. Es ist ihm anzusehen, dass die Angst ihn lähmt und er ob seiner eigenen Machtlosigkeit bestürzt ist. Trotzdem hofft sie, dass er, wenn er Zeit gefunden hat, über ihre Worte nachzudenken, Henry nach Hause holen wird.

46
    Nathaniel weiß, dass etwas nicht stimmt, als er Jemma sieht, die ihn am Tor erwartet. Es dämmert, und der Himmel hinter den wie Obelisken aufragenden Zypressengewächsen beginnt zu leuchten. Einen kurzen Moment lang beschleicht ihn die Hoffnung, sie stehe bloß dort, weil sie Sehnsucht hat, ihn zu sehen. Aber beim Näherkommen verrät ihr Gesichtsausdruck ihm, dass sie ernste Neuigkeiten hat.
    Und noch bevor er vom Pferd absteigen kann, an dessen Sattel die pralle Tasche voll mit Post hängt, redet sie schon drauflos: »Er weiß Bescheid, Nathaniel.«
    Bevor Nathaniel nach Flinders aufbrach, hatten sie sich in dem Raum getroffen, den Jemma sich als Atelier hergerichtet hatte, und über den Artikel in der Argus unterhalten, worin die Rede von neuen Erkenntnissen der Polizei über den Verbleib von Musk und Byrne war. Es hieß, sie stünden kurz davor, sie zu überführen. Außerdem war noch ein Artikel aus dem Advocate von Wombat Hill abgedruckt, worin Bedenken an der Vorgehensweise der Polizei erhoben wurden, insbesondere am Verhalten von Senior Sergeant Marcus O’Brien. Dies war der erste Hoffnungsschimmer, dass man ihrer Version der Ereignisse womöglich Glauben schenken werde. Dabei war ihnen allerdings entgangen, dass Henry draußen im Garten unter dem offenen Fenster saß und las.
    Sobald Nathaniel aufgebrochen war, hatte Henry Jemma zur Rede gestellt. »Sie werden jetzt gehen, nicht wahr?«, sagte er. Es war weniger eine Anklage als eine melancholische Feststellung, ein Anerkennen des Unvermeidlichen, als wäre dies sein Schicksal – verlassen zu werden. Sie würden ihn verlassen, wie das schon seine Mutter und sein Vater getan hatten.
    Er teilte ihr mit, dass womöglich auch Lizzie, die ganz in der Nähe mit dem Aufhängen der Wäsche beschäftigt war, das Gespräch mitgehört hatte. Denn als Henry zu ihr hinüberschaute, habe sie ihre Arbeit unterbrochen und auf ihn den Eindruck gemacht, als würde sie angestrengt lauschen. Da sie dann aber weiter die Wäsche aufgehängt habe, konnte Henry das nicht mit Gewissheit sagen.
    Seine Wangen sind so eingefallen, dass Jemma bereits den Schädel darunter wahrzunehmen glaubt. Sie zog ihn in einer heftigen Umarmung an sich. Henry reagierte darauf nicht sofort, als könnte er nicht ganz glauben, was da geschah. Wie lange war es her, seit ihn jemand gehalten hatte? Dann hob er zögernd seine Arme an ihre Taille und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Sie spürte das Zucken seiner Rippen und Schultern und seine Tränen an ihrem Nacken.
    Nathaniel führt das Pferd, und Jemma läuft neben ihm zu den Ställen. Sie müssen sofort aufbrechen, sagt er, sobald alle im Bett seien. Sie werden die Nacht über durchreiten müssen, damit sie in Settlers Cove den Morgendampfer nach Melbourne erwischen. Die große Stadt sei ihre beste Tarnung. Überall anders würden sie auffallen und das Gerede der Leute riskieren. Sie müsse Henry überreden, solange er kann Stillschweigen zu bewahren. Glaubt sie, dass der Junge reden wird? Was Lizzie betrifft, könnten sie nichts tun. Nur hoffen, dass sie nichts mitbekommen hat.
    Anfangs erfasst Nathaniel überhaupt nicht, was Jemma ihm sagt. Sie könne Henry nicht zurücklassen, sagt sie. Das könne und werde sie nicht tun.
    Jemmas Blick wandert über das Anwesen, zum Haus mit seinem

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