Sehnsuchtsland
würde heilen.
»Ich laufe rasch zum Hof zurück und hole den Wagen«, entschied er. »Lena, kannst du bei ihr bleiben?«
»Natürlich«, sagte Lena, ohne zu zögern.
»Gut, ich bin gleich wieder da.« Er umarmte Emma erneut. »Ich bin froh, dass wir dich gefunden haben, du Wirbelwind! Habe mir ganz schöne Sorgen um dich gemacht!«
»Jetzt seid ihr ja da.« Emma schmiegte sich an ihn.
»Also, bis gleich.« Er löste sich sanft von ihr, dann stand er auf und eilte davon, während Lena den Arm um Emma legte und sie tröstend an sich zog. »Sag mal, wie ist das eigentlich passiert? Svala ist doch sonst ganz brav!«
Ihre Worte wurden von plötzlichem Donnern begleitet, und dann fing es auch schon an zu regnen. Binnen Sekunden waren sie bis auf die Haut durchnässt. Lena umfasste Emma mit beiden Armen und drückte das Mädchen an sich. »Komm, rutsch ein Stückchen näher unter den Baum!«
Ein Blitz zuckte in nicht allzu weiter Entfernung nieder, und nur den Bruchteil einer Sekunde später zerriss ein Donnerschlag die Luft.
»Lena, ich will hier nicht bleiben!« Emma war sichtlich verängstigt. »Bei Gewitter soll man nicht unter Bäumen sein!«
Lena sah sich beunruhigt um. Natürlich hatte Emma Recht, aber was sollten sie tun?
Entschlossen stand sie auf. »Ich weiß, wo wir uns unterstellen. Ist nicht weit.«
Sie half Emma, sich vom Boden hochzustemmen, und versuchte dabei, so gut es ging, das verletzte Bein zu schonen.
»Wenn ich dich stützte — kannst du dann ein paar Schritte gehen?« Sie versuchten es, aber mit zweifelhaftem Erfolg.
Emma schrie leise auf. »Das tut weh!«
Lena begriff, dass es der Kleinen unmöglich war, sich aus eigener Kraft fortzubewegen. Es hatte keinen Zweck, zumindest nicht auf diese Art. Ohne zu zaudern, hob Lena das Kind hoch. Leicht war sie nicht, aber für die paar Schritte würde es schon gehen.
Doch als sie kurz darauf die Tür des Herrenhauses von Marielund aufstieß, hatte sie das Gefühl, die Lungen müssten ihr bersten vor lauter Anstrengung. »Wir haben’s geschafft!«, presste sie keuchend hervor, während sie Emma in die dunkle Halle schleppte. Mit dem Ellbogen knipste sie das Licht an und setzte Emma anschließend vorsichtig in einem der alten Sessel ab.
Die Kleine zitterte so stark, dass ihre Zähne aufeinander schlugen.
»Dir ist kalt!«, stellte Lena überflüssigerweise fest. Sie zog einfach eines der vielen weißen Tücher vom nächstbesten Möbelstück und wollte es Emma gerade umhängen, als sie schockiert innehielt.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den Gegenstand an, der unter dem Tuch sichtbar geworden war. Es war gar kein Möbelstück.
Mit steifen Händen legte sie Emma das Laken in den Schoß. »Emma, trockne dich damit ab«, sagte sie mit seltsam emotionsloser Stimme. »Ich bin gleich wieder da.«
Raus hier, dachte sie. Sonst nichts. Nur raus aus diesem Haus, bevor sie an ihrem Entsetzen erstickte. Sie keuchte und schluckte in dem vergeblichen Versuch, das wilde Schluchzen zu unterdrücken, das unaufhaltsam aus der Tiefe ihrer Brust stieg und ihr die Luft raubte. Sie rannte durch den Vordereingang auf die Veranda und stützte sich nach Luft ringend auf dem Geländer ab.
Dann hörte sie die Stimme.
»Was machst du hier?« Elinor stand in der bekiesten Auffahrt, eine Stola um die Schultern geschlungen, das Gesicht in hochmütiger Feindseligkeit erstarrt.
Lena verlor die Beherrschung. »Warum tust du so was?«, schrie sie. Mit Riesenschritten stürmte sie die Freitreppe hinab und auf Elinor zu. »Warum hast du das Motorrad aufgehoben?« Dicht vor der Älteren blieb sie stehen. »Wieso?«, wiederholte sie mit überkippender Stimme.
»Es wird noch da sein, wenn ich schon längst tot bin«, sagte Elinor kalt. »Vielleicht wollte ich verhindern, dass mit mir auch die Erinnerung stirbt.«
»Aber was denkst du denn?«, rief Lena. »Dass ich es vergessen hätte? Dass ich es vergessen könnte?« Die Stimme drohte ihr zu versagen vor Wut und Schmerz. »Ich wünschte, ich könnte es! Ich wünschte, es gäbe auch nur einen Tag in meinem Leben, an dem ich nicht daran denken müsste!«
»Lena!« Das kam aus dem Haus. Emmas Stimme klang klein und verloren.
»Das ist Emma«, sagte Lena. Ihr Zorn war so schnell verraucht, wie er gekommen war. Mit hängenden Schultern stand sie da. Das Haar klebte ihr am Kopf, und sie merkte, dass ihre Kleidung nur so triefte. Der Regen hatte aufgehört, aber die Luft war noch schwer und kalt von der Nässe. Der
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