Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
Unbekümmerte der Elfen, das ihn sonst umgab, hatte sich verflüchtigt, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Alebin setzte sich auf die Bettkante und griff nach den Stiefeln. Während er sie zuschnürte, versuchte er sich zu erinnern, warum – bei allen großmäuligen Schnappwichteln! – er eigentlich geblieben war. Hatte er wirklich den Verstand abgeschaltet und seiner Libido die Entscheidungsgewalt überlassen? Wegen eines kleinen Blondchens, dessen Namen er dauernd vergaß? Das so austauschbar war wie all die anderen kleinen Blondchen, die er im Laufe der Zeit vernascht hatte?
»Ich bin ein Idiot«, murmelte er, und es war niemand da, der ihm widersprochen hätte.
Alebin ging zur Tür, nahm im Vorbeigehen seine Jacke vom Boden auf. Auch die war ein Überbleibsel des seligen Nicholas Braxton, allerdings weiter geschnitten. Sie passte und war gut gefüttert, sodass er nicht frieren würde.
Er sagte kein Wort, als er die Treppe hinunterlief und die Küche betrat. Eleanor Braxton goss gerade die mit Milch verrührten Eier in die Pfanne. Sie hatte ihn offensichtlich gehört.
»Morgen, Darby!« Ihr entspanntes Lächeln war unerträglich. »Setz dich doch! Die Eier sind gleich fertig. Möchtest du schon eine Tasse Tee?«
Alebin antwortete nicht. Das verunsicherte sie zwar, hielt sie aber nicht davon ab, ihn zu bedienen. Toast, Butter, Konfitüre, clotted cream … Je mehr Mistress Braxton vor ihn hinstellte, desto mehr hasste er sie.
Als die Rühreier fertig waren, kam sie mit der Pfanne heran und schob einen Teil der dampfenden Speise auf seinen Teller. Sie wollte den Rest zu ihrem eigenen tragen, da hob Alebin die Hand.
»Alles!«, befahl er.
»Gern«, sagte sie. »Es freut mich, wenn es dir schmeckt.«
Sie ließ sich ihm gegenüber am Tisch nieder und reichte Alebin den abgedeckten Korb mit frischem Toast. Der Elf wartete nur darauf, dass sie sich erkundigte, ob er gut geschlafen hätte. Wenn sie es täte, würde er aufspringen und sie erwürgen, das hatte er beschlossen. Doch sie tat es nicht. Stattdessen ergriff sie eine Scheibe Toast, begann, sie mit Butter zu bestreichen, und fragte dabei im Plauderton: »Hast du dir für heute schon etwas vorgenommen, Darby?«
»Ich gehe nach dem Frühstück.«
Sie hielt inne. »Ja? Wohin denn?«
»Weg. Ins Moor.«
»Oh, das ist nicht gut.« Mistress Braxton wackelte mit dem Buttermesser. »Heute ist der letzte Oktobertag.«
Alebin sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Na und?«
»Hallowe’en?«, versuchte sie ihn zu erinnern. Er reagierte nicht, und so fügte sie hinzu: »Das ist die Nacht der Geister, Darby, da kehren die Toten zurück. Bleib lieber hier. Du kannst ja morgen ins Moor gehen.«
»Du hast mich nicht verstanden«, sagte er kalt. »Ich will nicht
ins Moor gehen
, ich gehe
weg
. Raus aus dem Dorf, raus aus dem Moor, raus aus Cornwall. Und zwar so was von für immer, mehr geht gar nicht! Ist das jetzt angekommen?«
Mistress Braxton legte ihr Messer auf den Teller. Sie sah traurig aus, obwohl sie lächelte. Mitleid stand in ihren Augen, als sie Alebin ansah. »Darby. Mein lieber Darby! Du
kannst
hier nicht weg! Hast du nicht ein Ziehen im Rücken gespürt, als du über die Klapperbrücke gegangen bist? Das geht uns allen so. Du dachtest, es wäre die Jacke. Aber die war’s nicht.«
»Sondern?« Das sollte eigentlich forsch klingen, tat es aber nicht. Alebin überkam plötzlich ein Gefühl von Unheil; eines jener Art, die keinen Namen hatte und einem an die Kehle griff.
Mistress Braxton zögerte. »Normalerweise erzählen wir es Neuankömmlingen erst nach einer Weile. Behutsam, nur in kleinen Portionen, damit sie den Schock besser verkraften.«
»Du erzählst es mir
jetzt!
« Alebin schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Tassen nur so klirrten. »Sofort!«
»Wie du willst, Darby.« Sie legte ihre Hände übereinander, blickte einen Moment auf sie hinab. Dann hob sie den Kopf und sah Alebin in die Augen. »Es liegt ein Fluch auf Whispering Willows. Sehr alt und nicht mehr aufzuheben. Das war der Grund, warum Nathan so schroff zu dir war, als du plötzlich an der Brücke erschienen bist. Er hat versucht, dich zu retten.«
Sie seufzte. »Wer das Dorf betritt, dessen Lebensfaden verhakt sich hier und kommt nie wieder frei. Wir können ins Moor gehen; zum Torfstechen, Schafehüten, Einkaufen in anderen Dörfern … So weit der jeweilige Lebensfaden eben reicht. Deshalb war Harry mit dem Wagen unterwegs und kein Junge. Wir brauchten
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