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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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so sicher und ruhig wie möglich zu machen, damit der Kaiser von seinem Thron aus Frieden sieht. Ich tat dies so öffentlich, wie es nur ging, indem ich meinen Nachbarinnen zeigte, dass Schneerose eine niedrige, gemeine Frau war, die nicht Teil unseres Lebens sein sollte. Ich hatte sogar noch in dem Moment Erfolg, in dem ich meine laotong zerstörte.
    Meine Schmährede wurde bekannt. Sie wurde auf Taschentücher und Fächer geschrieben. Mädchen mussten sie auswendig lernen, und man sang sie während des Monats der Hochzeitsfeierlichkeiten, um die Bräute vor den Fallstricken des Lebens zu warnen. Auf diese Weise verbreitete sich Schneeroses Schande im ganzen Land. Was mich betraf, so lähmten mich die Geschehnisse. Was hatte es für einen Sinn, die Dame Lu zu sein, wenn es keine Liebe in meinem Leben gab?

IN DIE WOLKEN
     
     
    A cht Jahre vergingen. Während dieser Zeit starb Kaiser Xianfeng, Kaiser Tongzhi kam an die Macht, und der Taiping-Aufstand endete irgendwo in einer fernen Provinz. Mein erster Sohn heiratete, seine Frau wurde schwanger, zog bei uns ein und bekam einen Sohn – den ersten von vielen wertvollen Enkelsöhnen. Mein Sohn bestand die Vorprüfungen zum shengyuan , das ist ein Beamter auf Präfekturebene. Er begann sofort mit den Vorbereitungen auf die Prüfung zum xiucai . Er hatte nicht viel Zeit für seine Frau, aber ich glaube, sie fand Trost in unserem oberen Gemach. Sie war eine gelehrsame junge Frau mit guten Kenntnissen der weiblichen Künste. Ich mochte sie gerne. Meine Tochter, die mittlerweile sechzehn Jahre alt und in ihren Tagen des Haarehochsteckens war, war mit dem Sohn eines Reishändlers im entfernten Guilin verlobt. Ich würde Jade vielleicht nie wieder sehen, aber diese Verbindung würde unsere Beziehungen zum Salzhandel weiterhin schützen. Die Familie Lu war wohlhabend, geachtet und hatte bislang nur Glück gehabt. Ich war zweiundvierzig Jahre alt und hatte mich nach Kräften bemüht, Schneerose zu vergessen.
    An einem späten Herbsttag im vierten Jahr der Herrschaft von Kaiser Tongzhi kam Yonggang ins obere Gemach und flüsterte mir ins Ohr, dass mich jemand sprechen wolle. Ich bat sie, den Gast nach oben zu bringen, aber Yonggang schaute zu meiner Schwiegertochter und meiner Tochter hinüber, die zusammen beim Sticken saßen, und schüttelte den Kopf. Das war nun entweder unverschämt von Yonggang, oder aber es ging um etwas
Ernsteres. Ohne ein Wort zu den anderen ging ich nach unten. Als ich den Hauptraum betrat, fiel ein Mädchen in abgenutzten Kleidern auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden. Zu uns kamen häufig Bettler, denn ich war für meine Großzügigkeit bekannt.
    »Dame Lu, nur Ihr könnt mir helfen«, beschwor mich das Mädchen und schob sich auf Knien vor, bis ihre Stirn auf meinen Lilienfüßen ruhte.
    Ich langte nach unten und berührte sie an der Schulter. »Gib mir deine Schüssel, ich fülle sie dir.«
    »Ich habe keine Bettlerschüssel, und ich brauche auch nichts zu essen.«
    »Warum bist du dann hier?«
    Das Mädchen begann zu weinen. Ich bat sie aufzustehen, und als sie keine Anstalten dazu machte, tippte ich ihr wieder auf die Schulter. Yonggang neben mir starrte ein Loch in den Boden.
    »Steh auf!«, befahl ich.
    Das Mädchen hob den Kopf und sah mir ins Gesicht. Ich hätte sie überall erkannt. Schneeroses Tochter sah genauso aus wie ihre Mutter in diesem Alter. Ihre Haare widersetzten sich dem Zwang der Haarnadeln und fielen ihr in losen Ringeln über das Gesicht, das bleich und rein war wie der Frühlingsmond, von dem sie ihren Namen hatte. Wehmütig dachte ich an die Zeit kurz vor der Geburt des Mädchens zurück. Durch die Schleier der Erinnerung sah ich Frühlingsmond als hübsches Baby und dann während der schrecklichen Tage und Nächte unseres Taiping-Winters. Dieses hübsche kleine Ding hätte einmal die laotong meiner Tochter werden sollen. Und nun war sie hier, senkte die Stirn wieder auf meine Füße und bat mich um Hilfe.
    »Meine Mutter ist sehr krank. Sie wird den Winter nicht überstehen. Wir können nichts mehr für sie tun, außer ihren unruhigen
Geist zu besänftigen. Bitte, kommt zu ihr. Sie ruft nach Euch. Nur Ihr könnt ihr antworten.«
    Fünf Jahre zuvor wäre mein Schmerz noch so groß gewesen, dass ich das Mädchen weggeschickt hätte, aber durch meine Pflichten als Dame Lu hatte ich viel gelernt. Ich konnte Schneerose zwar niemals vergeben, wie viel Kummer sie mir bereitet hatte, aber um meiner Stellung im

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