Seidenfpade
Fall dient der Mensch nur dazu, die Elektronik rein und wieder raus aus der Höhle der Harmony zu schaffen. Wenn der Mensch dabei naß wird, sein Pech! Nur die Apparatur muß trocken bleiben.
Die Sekunden bis zum Öffnen des Kamerafensters tickten mit der Präzision eines Metronoms durch Shanes Hirn. Obwohl er weiterhin regungslos verharrte, machte sich allmählich so etwas wie ein Hochgefühl in ihm breit. Der Countdown näherte sich seinem Knackpunkt.
Wie immer genoß Shane die Ungebundenheit der Nacht. Er konnte es kaum abwarten, sich der bevorstehenden Herausforderung zu stellen. Das war etwas, was er kannte, worin er gut war, was er liebte: sein Lebensinhalt.
Doch noch während sein Blut in Wallung geriet, spürte er, daß diesmal etwas anders war als sonst. Seine Definition von Freiheit hatte sich geändert. Ein Teil von ihm war ungeduldig, trotz seiner disziplinierten Reglosigkeit. Und der wollte nun alles so schnell wie möglich erledigen - damit er zu der Frau zurückkehren konnte, die auf ihn wartete, weil er sie darum gebeten hatte.
Nicht mehr. Nur darum gebeten.
Und zwar eine, ungefähr so schwach und unterwürfig wie ein Pantherweibchen, das seine Jungen bewacht. Sie glich in ihrer Natürlichkeit und Offenheit einem tropischen Sonnenuntergang. Ihr Verstand sowie ihre Zunge wiesen Messerschärfe auf.
Dennoch vertraute sie ihm, wie ihm noch nie zuvor jemand vertraut hatte.
Nicht einmal er sich selbst.
Der Regen rauschte wie eine Wand hernieder. Ausufernde Blitze zuckten über den tropischen Nachthimmel. Donner tobte hinterdrein. Nur die Kamerabewegungen und Shanes Herzschlag waren berechenbar.
Er zählte die letzten Sekunden mit und löste sich vom regennassen Stamm der Palme. Seine Bewegungen blieben vollkommen ruhig. Der schwarz-graue Regenponcho bot zwar eine wirksame Tarnung, doch rasche Bewegungen erregten Aufmerksamkeit. Während er sich mit langen, gelassenen Schritten dem Eisenzaun näherte, zog er vorsichtig die Drahtzange aus der Tasche an seinem Oberschenkel.
Ein behutsames Ankratzen des Metalls verriet Shane, daß er Glück hatte. Entweder bevor oder nachdem Katja das Anwesen gekauft hatte, hatte jemand die verrosteten Streben mit schwarzer Farbe überpinselt. Die Farbe war rasch rissig geworden, so daß das Salzwasser seine unbarmherzigen Angriffe stetig hatte fortsetzen können.
Die Streben waren jedoch nicht gleichmäßig verrostet, sondern einige brüchiger als die anderen. Rasch untersuchte Shane mehrere Stäbe, wählte einen aus und machte sich ans Werk.
Zunächst schnitt die Drahtzange relativ leicht durch die marode Oberfläche. Doch dann trafen die Stahlbacken auf unversehrtes Eisen. Shane nahm die Zange in beide Hände und drückte zu, so fest er konnte. Der Schweiß brach ihm aus und rann ihm über Stirn und Rücken. Dennoch gab er keinen Laut von sich.
Es dauerte nicht lange, bis das ersehnte Geräusch zusammenschnappender Stahlbacken ertönte. Shane, der am Boden kniete, machte rasch einen weiteren Schnitt ein paar Zentimeter über dem Erdboden. Ein meterlanges Stück fiel in den Sand.
Dann machte er sich an den benachbarten Eisenstab, doch diesmal hatte er nicht soviel Glück. Die Stange war nicht so verrostet wie die vorherige. Er mußte kleine Schaukelbewegungen mit der Stahlzange machen, wieder und wieder, doch noch immer trafen sich die Zangenbacken nicht.
Die Zeit rannte ihm davon, doch er blieb ruhig. Dann nahm er einen neuen Anlauf und drückte zu, bis seine Halsmuskeln wie Eisenstränge hervortraten und ihm der Schweiß aus allen Poren brach.
Schließlich fiel auch ein zweites Stück in den Sand. Mit den beiden Stangen bewaffnet, kroch er durch den Zaun.
Nur Augenblicke später duckte er sich in hüfthohes Busch-werk und Tropenblumen, die sich um einen anmutigen Tulpenbaum rankten. Das dichte Gebüsch sorgte dafür, daß den Harmony-Bewohnern der Anblick der grunzenden und ächzenden Volleyballspieler vom Hotel erspart blieb.
Doch das dichte Laub bot darüber hinaus eine hervorragende Deckung für Eindringlinge. Noch bevor die dem Wasser am nächsten liegende Kamera ihren Schwenk vollendet hatte und sich wieder auf den Zaun richtete, war Shane von der Bildfläche verschwunden.
Gillie würde ein paar Köpfe an Spießen braten, wenn er hier das Sagen hätte, dachte Shane. Boston hat sich wirklich Mühe gegeben, das Sicherheitssystem seiner erlauchten Zarin zu unterminieren.
Shane schob die Zaunstangen unter einen Busch und tastete sich vorwärts. Die
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