Seidenfpade
sagen, seine Mißbilligung zu verstehen gegeben.
»Sollte ich diesen jungen Mann kennen?« fragte Shane den Lama.
Dhamsa blickte den Glaubensbruder mit einer Mischung aus Irritation, Langmut und Bewunderung an.
»Pakit Rama«, sagte er. »Ein Juniormönch.«
Shane zog die Brauen hoch. Daß ein Juniormönch in Gegenwart des Lamas seine Meinung so offen kundtat, war unerhört. Shane bedachte Pakit Rama mit einem knappen Kopfnicken.
»Wie Sie zweifellos bereits vermutet haben«, übernahm Pakit wieder das Wort, »wurde ich im Westen ausgebildet.«
»Ihr Englisch ist ausgezeichnet«, sagte Cassandra in neutralem Ton.
»Ihres auch«, entgegnete der Mönch.
Gillespie warf dem jungen Mann einen scharfen Blick zu.
Der Lama sagte etwas Barsches auf tibetisch. Pakit preßte die Lippen zusammen, verneigte sich jedoch respektvoll vor dem Lama und dann vor Cassandra.
»Ich habe das nicht beleidigend gemeint«, entschuldigte er sich.
»Hab’s auch nicht so aufgefaßt«, beruhigte sie ihn.
Dani war nicht sicher, wem von beiden sie mehr glaubte. Oder weniger.
»Ich fürchte, die westliche Ungeduld hatte mich befallen«, sagte Pakit. »Die Seide ist lebenswichtig für Tibet... Ich kann gar nicht ausdrücken, wie!«
»Begreiflich«, meinte Cassandra.
Diesmal glaubte Dani beiden.
»Prasam Dhamsa«, fuhr Pakit fort, »verläßt sich auf meinen Rat, was unsere Kontakte mit dem Rest der Welt betrifft.«
Dhamsas Gesichtsausdruck verriet, daß der Rat des jungen Mönchs nicht immer willkommen war.
Shane verstand den Zwiespalt, in dem sich der Lama befand. Es war nicht leicht, die Kluft zwischen spiritueller Einfachheit und geopolitischer Komplexität zu überbrücken.
Nicht leicht? Von wegen! dachte Shane. Es ist unmöglich. Für mich war es das zumindest.
»Meine westliche Ausbildung, die dem heiligen Lama soviel Unbehagen bereitet, habe ich in internationaler Politik und Diplomatie absolviert«, erklärte der junge Mann.
»Wahrscheinlich eher in Stanford als an der University of California?« meinte Cassandra.
Pakit blickte sie überrascht an. »Stanford - aber woher wissen Sie das?«
»Kalifornier haben ihren eigenen Akzent.« »Tatsächlich? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken«, beschwichtigte Cassandra den jungen Mann. »Das Fernsehen glättet sämtliche linguistischen Unterschiede in den Vereinigten Staaten. Ihr Akzent ist oder wird bald der dominante sein.«
Lächelnd nippte Dani an ihrem Yakbuttertee und schwelgte in Erinnerungen an die Sommer, die sie entlang der Seidenstraße verbracht hatte.
»Viel von dem, was Sie geschrieben haben, war in meinen Kursen Pflichtlektüre«, vertraute Pakit Cassandra an.
Es hätte ein Kompliment sein sollen. Doch so wie Pakit es sagte, klang es, als ob er die Ergüsse der Botschafterin tatsächlich nur gezwungenermaßen gelesen hätte.
Shane genoß auch seinen Tee und sah ebenso entspannt aus wie Dani. Er war es jedoch nicht, denn er spürte, daß Pakit Cassandras Anwesenheit gegen den Strich ging.
Vielleicht bloß Stolz, dachte Shane insgeheim. Die meistverbreitete Seuche unter jungen Männern. Pakit möchte der einzige sein, der Prasam beeinflußt.
»Einiges davon habe ich geschrieben, bevor Sie geboren wurden«, sagte Cassandra wegwerfend. »Ich bin sicher, Sie fanden es veraltet.«
Pakit blinzelte überrascht. Dann verzog sich sein Mund zu einem schiefen Lächeln.
»Die Welt ändert sich rasch, und jetzt ändert sie sich radikal«, stimmte er ihr zu. »Die Institutionen, die überleben, müssen sich anpassen.«
Dhamsa runzelte die Stirn und rückte unbehaglich auf dem Sitz hin und her.
»Die Welt mag sich ja ändern«, räumte Cassandra ein, »die menschliche Natur aber nicht. Ehrgeiz, Gier, Stolz, Angst, Sexualität. Das sind Konstanten.«
»Eine sehr altmodische Sichtweise«, lautete Pakits Kommentar.
»Vielen Dank«, murmelte Cassandra. »Ich finde nur wenig Empfehlenswertes im Postmodernismus.«
Shane verbarg sein Lächeln hinter seiner Teetasse. Er befürch-tete, daß der junge Mönch nur zu bald feststellen würde, daß verbales Klingenkreuzen mit Cassandra Redpath fast jeden Kontrahenten ins Hintertreffen brachte.
Pakit schnappte: »Seine Heiligkeit teilt Ihre Ansichten!«
»Ja«, murmelte Cassandra. »Mit Hilfe von Mr. Crowe haben der Lama und ich schon so manche philosophische Diskussion geführt.«
»Jetzt verstehe ich, warum er gerade Ihnen und Ihren Leuten diesen Auftrag erteilt hat.«
»Das
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