Seidenmagd
Amsterdam. Das ist jetzt schon das zweite schwere Erdbeben in diesem Jahr.«
»Die Erde soll sechs Minuten in Lissabon gebebt haben.« Peter Lobach trank einen Schluck Wein, hielt dann Catharina sein Glas hin, so dass sie ihm nachschenken konnte.
»Immerhin soll es weniger Schäden gegeben haben als beim Beben vor sechs Jahren.«
»Manche sehen die Beben als ein Zeichen an«, sagte Esther. »Auch einige der Franzosen.«
»Ich glaube nicht an einen bestrafenden Gott, das widerspricht unserem Glauben, doch die Franzosen sehen das wohl anders«, meinte Abraham leise.
»Ich bezweifle, dass die meisten Franzosen überhaupt einen Glauben haben. Schon wieder sind Höfe geplündert worden. Auch nimmt der Diebstahl innerhalb der Stadt zu.« Geertie Lobach lehnte sich zurück und seufzte.
»Das wird aber hart geahndet«, sagte Catharina leise. »Erst gestern musste ein Soldat, den sie des Diebstahls überführen konnten, Spießruten laufen.«
»Was sagen denn die von der Leyen zum Friedenskongress? Ist der junge Monsieur wieder in Krefeld?«
»Er soll in der nächsten Woche kommen.« Catharinas Herz klopfte. Sie hatte Angst vor den Veränderungen. »Er war wohl in Braunschweig und Potsdam, wurde erzählt.«
»Ihr seid aber doch bei ihm angestellt?«, fragte Geertie.
»Ja, schon. Doch er ist abgereist, bevor ich in den Haushalt kam. Eigentlich wollte er nur wenige Tage in Düsseldorf verbringen, dann aber gab es wohl Gründe, weshalb er weiter gereist ist.«
»Welche?« Abraham beugte sich interessiert vor.
»Das kann ich nicht sagen, darüber wird nicht gesprochen. Und wenn, dann nur hinter verschlossenen Türen.«
»Es ist doch seltsam. Heute Morgen kam eine Abteilung Milizsoldaten vom Nieder- zum Obertor durch. Und zwei Stunden später ging eine Kompanie den umgekehrten Weg. Als ob die eine Hand wieder nicht weiß, was die andere tut.«
Noch eine Weile sprachen sie über die Zustände in der Stadt. Durch das milde und trockene Wetter hatte sich die Lage der Armen gebessert, und es gab weniger Krankmeldungen.
Es dämmerte schon, als sich Catharina auf den Weg machte. Sie hatte einen Moment gefunden, um ihre Mutterwegen der Volants um Rat zu fragen. Zu ihrem Erstaunen hatte Esther ihr ausführlich und geduldig alle Fragen beantwortet und ihr den einen oder anderen Trick verraten.
Voller Zuversicht begab sich Catharina auf den Heimweg.
»Darf ich dich ein Stück begleiten?«, fragte Henrike sie.
Catharina merkte, dass ihre Schwester etwas auf dem Herzen hatte. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander.
»Gefällt es dir wirklich bei den von der Leyen?«, fragte Henrike schließlich.
»Doch, schon. Ich habe mich inzwischen an das Leben dort gewöhnt. Vermutlich wird es sich noch ändern, sobald Monsieur zurück ist.«
»Er reist viel.«
»Nun, er repräsentiert die Firma seiner Onkel, knüpft Kontakte und sorgt für den Vertrieb.«
»Das klingt alles so aufregend.«
»Es klingt nur so, Rike. Im Grunde findet dort auch Alltag statt. Es scheint nur so, als wäre das Leben dort so viel anders, aber auch da wird Brot gebacken, Böden werden gewischt, Wäsche wird gekocht und ausgeschlagen. Hinter der Remise gibt es einen Hühnerstall und einen Taubenschlag. Sie haben einen Wallgarten und noch einen Gemüsegarten hinter dem Haus bei der Bleiche. Dort werden auch Schweine gemästet und im Herbst geschlachtet. Mamsell macht die Wurst selbst und pökelt das Fleisch.«
»Und dennoch erinnert mich das, was du erzählst, an das Leben bei den Flohs. Voller Eleganz und Pracht«, murmelte Henrike.
»Du trauerst dem immer noch hinterher?« Catharina war verblüfft. Sie hatte den Eindruck gewonnen, dass ihre Schwester sich mit ihrem Schicksal versöhnt hatte.
»Die Beiköchin der Flohs hat sich mit heißem Öl verbrüht. Sie kann die Hände kaum noch nutzen, und niemand weiß, ob sie das überleben wird. Heute nach der Kirche hat mich Madame gefragt, ob ich nicht doch zurückkommen wolle. Sie würden mich sofort nehmen.«
»Und? Würdest du?«
»Maman wird es nicht erlauben.« Henrikes Stimme klang erstickt.
»Madame Floh soll mit Mutter sprechen.« Catharina war stehen geblieben und nahm ihre Schwester in den Arm. »Ich bin mir sicher, es wird eine Lösung geben.«
»Ich habe sogar schon überlegt, davonzulaufen und mich in einer anderen Stadt als Köchen zu verdingen.«
Entsetzt schob Catharina ihre Schwester von sich. »Nein, das kannst du nicht tun. Ohne Referenzen wirst du keine Stellung bekommen, und
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